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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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drinstecken …«
    »… Sie sind ein Menschenfreund, verstehe.« Er dachte einen Augenblick nach, legte ihr wieder die Hand auf die linke Schulter. »Ja, das bin ich. So genannt hat mich noch nie jemand, aber Sie haben recht. Ich liebe alle Menschen. Ich bin Humanist.« Sie legte ihre Hand auf die seine, aber nicht, um sie zu entfernen. »Ich glaube Ihnen das«, sagte sie. »Sie sind Humanist.«
    »Und diese Wunde«, sagte er beim Loslassen ihrer Schulter, »ist mir an Frauen oft begegnet. Eine Haushaltsverletzung.«
    »Heirat«, sagte sie. »Heirat und Kinder.«
    »Dann sollten Sie das nachholen und die Wunde schließen.«
    »Mag sein. Wir haben jetzt aber Wunden ganz anderer Art zu versorgen.« Er musste ihr recht geben. »Ich sehe nur nicht, wie Sie das anstellen wollen. Ich meine, wir sind jetzt zu zweit. Vorgeschrieben wären aber sieben Schöffen …«
    »Ja, was sollen wir machen? Wir sind halt jetzt nur zwei. Das ist immerhin doppelt so viel wie vorher …«
    »Also schön. Lassen wir das vorerst beiseite. Wenn wir aberGericht halten sollen, dann müssen wir uns doch daran halten, was die femewrogigen Punkte sind …«
    »Ganz einfach, das sind nur fünf …«
    »Die Sie sicher auswendig wissen …«
    »… Abfall vom Christenglauben, Raub und Brand gegen geweihte Stätten und auf Königsstraßen, offenbare Verräterei oder Fälschung, Gewalt gegen Kindbetterinnen, sodann Diebstahl, Mord, Leichenraub, Mordbrand und alle, die gegen Ehre tun und darum zu Ehren nicht antworten wollen .«
    »Den letzten Punkt versteh ich überhaupt nicht.«
    »Der meint Leute, die sich dem Freigericht entziehen wollen.«
    »Das ist doch ein Gummiparagraph …«
    »Egal! Hauptsache, die wesentlichen Teile sind enthalten: Diebstahl, Mord …«
    »Gewalt gegen Kindbetterinnen – da fiel mir jetzt auf die Schnelle nicht einmal ein Beispiel ein …«
    »Sie dürfen das nicht so eng sehen. Kindbetterinnen, das sind für uns einfach Frauen im Allgemeinen, verstehen Sie? Da fällt dann Hopfner drunter …«
    »Eindeutig … Was ist aber mit Ludwig Stadler?«
    »Punkt drei, ganz klar. Offenbare Verräterei oder Fälschung – er hat Sie verraten , weil er sich an Ihre Frau …«
    »Schon gut, verstehe … ja, das könnte man so sehen. Dafür finden wir bei Punkt eins entweder jeden zweiten Bürger oder niemanden.«
    » Abfall vom Christenglauben? Sie meinen, weil das alles nur noch Taufscheinchristen sind? Glauben Sie denn, im 15. Jahrhundert war das anders? Man hat die Dinge rein formal gesehen – das ist eben kein Inquisitionsprozess, wo die Wahrheit herausgebracht werden muss, was die Leute wirklich glauben und so weiter, was Orwell dann Gedankenverbrechen genannthat – das ist ja der Vorteil der Feme: Alles folgt starren Regeln, eine Wahrheitsfindung im modernen Sinn gibt es gar nicht …«
    »Ich kann mich erinnern – gichtiger Mund und blitzender …«
    »… blinkender Schein, heißt es. Also Geständnis oder Augenschein. Wenn das nicht da ist, genügt ein Schwur, sich vom Vorwurf zu reinigen.«
    »Diese Schwörerei müssen wir weglassen, das geht heute nicht mehr …«
    »Natürlich. Wir haben ja auch keinen formalen Kläger, sondern nur Fälle der handhaften Tat mit blinkendem Schein . Da gibt es keine Schwurreinigung, keine Eideshelfer und so weiter, das Urteil ist in der Tat begründet und kann jederzeit vollstreckt werden.«
    »Sie haben sich das alles schon genau überlegt«, sagte er, » blinkender Schein – schöner Ausdruck. Aber so war es ja: Alle haben es gewusst, es war offensichtlich, was vorgefallen ist, bei Stadler und bei Hopfner. Aber es ist nichts passiert …«
    »Weil Recht geweigert wurde. Rechtsverweigerung – das heißt heute was anderes als vor fünfhundert Jahren. Die Sache mit ihrer Frau: ist heute nicht strafbar – denn seit der Moderne heißt es: sine lege nulla poena – keine Strafe ohne Gesetz. Das Verbrechen, der Ehebruch, besteht aber nach wie vor – das Recht wurde hier nicht von einem Richter verweigert, sondern vom System selbst, aber egal: Es wurde verweigert, darauf kommt es an, und fällt deshalb unter das Femegericht.«
    »Und Hopfner? Gegen Hopfner hätte es ein Gesetz gegeben …«
    »… das aber nicht angewendet werden konnte, weil heute gilt: Wo kein Kläger, da kein Richter! Maria konnte nicht klagen –aus welchen Gründen immer –, also ist gar nichts passiert …«
    »Warten Sie«, sagte er. »Ihre … Ihre Handlungsweise begründen Sie mit handhafter Tat ?«
    »Und

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