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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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Geschäfts war. Wo genau die Grenze des Geschäftsbereichs lag, wusste man nicht, eine albanische Crew hatte Ende der Neunziger versucht, diese Grenze auszutesten. Darauf war auf dem Gelände der Baufirma Viessmann in Lustenau eine Entdeckung solcher Scheußlichkeit gemacht worden, dass die Presse auf eine Schilderung der näheren Umstände verzichtete; man las nur vom Mord an zwei Albanern, die mit stumpfen Gegenständen erschlagen worden seien. Nathanael Weiß hatte die Opfer aber gesehen. Das mit den stumpfen Gegenständen konnte er bestätigen – wenn man eine (unbefugt in Betrieb genommene) Straßenwalze als besonders großen und besonders stumpfen Gegenstand durchgehen lassen will. Bilder und Fingerabdrücke der Opfer fanden sich in Datenbanken, sie konnten ohne Mühe identifiziert werden, denn sie waren von der Hüfte aufwärts völlig unversehrt. Man munkelte auch von einem zwanzigminütigen Video, das vom Einsatz der Walze angefertigt worden sein sollte; es sei dann in Kopien an mehrere Adressen in Albanien verschickt worden, aber das buchte Nathanael Weiß als Gerücht ab; wie jeder Apparat brachte auch die Polizei Erzählungen hervor, tales of terror . Wie dem auch gewesen sein mochte, die Geschäfte des Konrad Mugler wurden nicht mehr gestört, die Margen stimmten, alles ging seinen gewohnten Gang. Und die Polizei war machtlos.Die Polizei wusste, Mugler wusste, dass sie es wusste, und das wiederum wusste die Polizei. Es herrschte ein Überfluss an Wissen in dieser Angelegenheit, begleitet von einem völligen Mangel an Beweisen. Es war, dachte Nathanael Weiß manchmal, wie das Negativ von einem Roman, einer erfundenen Geschichte: eine Menge an Tatsachen, die allesamt ausgedacht sind, was auch alle wissen, die das Buch lesen; dennoch tun sie während des Lesens so, als sei alles wirklich und wahr. Die Mugler-Sache war das Gegenteil: zwar auch hier ein Haufen Tatsachen, die sich aber niemand ausgedacht hat, dennoch tun alle so, als seien sie samt und sonders erfunden. Er kam damit nicht zurecht.

    *

    Ingomar Kranz glaubte ihm natürlich kein Wort. Der Mann ist verrückt, dachte er. Anton Galba konnte ihm ansehen, dass er so dachte. Er sagte es Ingomar Kranz auf den Kopf zu.
    Sie saßen in einer kleinen Gastwirtschaft mit Garten, aber drinnen, das Wetter hatte umgeschlagen und den Herbst mit einer Regenphase eingeleitet. In der Gaststube war es dunkel, es brannte zu wenig Licht, nur ein trüber Schein fiel durch das Fenster an ihrem Tisch. Kranz rührte seinen Kaffee um, der kalt geworden war, er hätte lieber ein Bier getrunken, das ging aber nicht mitten am Nachmittag im Rahmen einer Recherche, und es war eine Recherche, auch wenn sie zu nichts führen würde, weil sie aus sinnlosem Gefasel bestand. Verschwundene Personen, Gärturm, bad lieutenant – das passte alles nicht zusammen, fand er. Angefangen hatte es noch halbwegs normal mit einen Seitensprung und einem unglücklichen Sturz, den ersten Einsatz des Häckslers verbuchte er aber schon unter dem Titel paranoides Konstrukt ; Ingomar hattesolche Begriffe gleich bei der Hand, weil er sich beruflich viel mit medizinischen Themen befasste. Solche Begriffe fand er nützlich, sie halfen, die Vielzahl der Erscheinungen in überschaubare Kategorien einzuteilen – die Einteilung bestimmte auch sein weiteres Vorgehen. Wie in diesem Fall: Die Sache war klar und erforderte überhaupt kein weiteres Vorgehen. Denn die Sache war keine Geschichte und würde auch keine werden. Wenn aber etwas keine Geschichte war und werden konnte, dann war sie medientechnisch nicht existent. Nach diesem in vielen Gestaltungsseminaren eingebleuten Grundsatz lebte und arbeitete Ingomar Kranz, und das taten auch seine Kollegen.
    Anton Galba hatte sich ein Bier bestellt und nahm einen großen Schluck. Der Mann glaubte ihm nicht. Er kannte diesen Kranz nur als Reporter aus dem Fernsehen. Am Abend davor war er in der Abendsendung im Bild gewesen, irgendeine Politgeschichte wegen Subventionen an einen Sozialverein, dubios, Galba war bei der Geschichte nicht mitgekommen, aber Kranz machte einen seriösen Eindruck, er war auch älter als die anderen Fernsehleute, die ihm allesamt wie Siebtklässler vorkamen, besonders die Frauen vermittelten diesen Eindruck. Ungeheuer frisch und optimistisch und ahnungslos. Dagegen hatte dieser Kranz einen bitteren Zug um den Mund, was auf eine gewisse Lebenserfahrung und Einsicht in den wirklichen Charakter der Dinge und Menschen schließen ließ. Galba

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