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Alles Fleisch ist Gras

Alles Fleisch ist Gras

Titel: Alles Fleisch ist Gras Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Mähr
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blinkendem Schein – es war klar, was er Maria angetan hat.«
    Sie hatten sich, nebeneinander spazierend, von der kleinen Brücke entfernt. Er war von ihr beeindruckt. Es passte alles zusammen, wenn man sich an das hielt, was das Femerecht immer gewollt hatte und wollte. Aber mit der platten Gegenwart hatte er Schwierigkeiten.
    »Das Femerecht galt vor fünfhundert Jahren. Wenn wir sie nun wieder zum Leben erwecken: warum hier, tausend Kilometer südlich von Westfalen? Uns verbindet doch überhaupt nichts mit dem Land.«
    »Das ist nicht richtig.« Ihre Stimme klang ruhig, fast heiter. »Zwei Gründe verbinden uns mit der Feme: ein biographischer und ein grundsätzlicher. Der biographische bin ich selber … Meine Mutter stammt aus Westfalen, aus Dortmund. Das war der Hauptort der Feme. Mein Großvater hat mir viel darüber erzählt …«
    »Also schön. Und was ist dann das Grundsätzliche?«
    Sie blieb stehen und sah ihn an.
    »Das Grundsätzliche ist das Recht des römischen Königs. Darauf beruft sich die Feme, die Bannleihe: das Recht, in seinem Namen Recht zu sprechen.«
    »Aber einen römischen König gibt es seit Jahrhunderten nicht mehr …«
    »Das macht nichts. Denn der König hat zwei Körper.«
    »Was?«
    »Der eine ist sein materieller Körper, das ist zugleich sein privater als Mensch. Für uns ohne Belang. Gleichzeitig hater aber noch einen offiziellen und immateriellen Körper. Als König an sich. Dieser Körper stirbt nie. Also lebt auch König Siegmund noch, der das Femerecht anerkannt und befördert hat. Die zwei Körper des Königs haben Rechtsgelehrte in England entdeckt, ich glaube, im 17. Jahrhundert, es ging da um einen König James – aber das Prinzip gilt natürlich für jeden König, und erst recht für den Inbegriff des Königtums im Abendland, den heiligen König Karl und seine Nachfolger.«
    »Der schwebt also als Geist irgendwie um uns herum?«
    »Eben nicht! Das muss man sich anders vorstellen: Der zweite Körper des Königs kann nicht berührt werden, aber er ist unzerstörbar da. Kein Geist ! Die Vergeistung des Mittelalters kommt erst mit der Romantik, damit auch der Kitsch im Sinne von Märchenkönig und so weiter …«
    »Und wo ist er dann, dieser zweite Körper des Königs? Wo finde ich ihn?«
    Sie antwortete erst nach einer Weile.
    »Der zweite Körper des Königs lebt im Reiche des Rechts – nicht in Büchern, nicht in Theorien. Man findet ihn in sich selbst. Er wohnt in unseren Herzen. Auch wenn wir nichts davon wissen.«
    »Aber …«
    »Auch wenn wir nichts davon wissen!«, wiederholte sie mit lauter Stimme. »Denn er verhält sich ruhig, er gibt keinen Mucks von sich – bis Sie dann Dinge tun, die Sie noch kurz vorher nicht für möglich gehalten hätten. Dass nämlich Sie selbst diese Dinge tun, nicht ein anderer. Durch diese Dinge spricht der Körper des Königs aus Ihnen. Es sind ganz bestimmte Dinge, Sie wissen das ja. Sie widersprechen dem außen herrschenden Recht. Aber sie entsprechen dem Recht des Königs, der in Ihnen wohnt, wie er in jedem freien Schöffenwohnt. Der ewige Körper des Königs spricht aus Ihnen mit seiner ewigen Stimme. Diese Stimme ist das ewige Recht.«
    Danach schwieg sie. Er auch. Es gab nichts mehr zu sagen. Er spürte eine große Ruhe.

    *

    Konrad Mugler hatte in seinem Leben noch nichts wirklich Vernünftiges angestellt, dafür zahlreiche Dinge, die auch der Wohlmeinendste nicht entschuldigen konnte. Sein Akt umfasste eine ganze Reihe von Straftaten, von denen er viele schon im strafunmündigen Alter begangen hatte. Unbefugte Inbetriebnahmen von Kraftfahrzeugen, Fahren ohne Führerschein, Verursachung von Unfällen mit den unbefugt in Betrieb Genommenen; später kamen dann Delikte gegen Leib und Leben dazu, Jugendstrafen, abgebrochene Lehrstellen, Hilfsarbeiterjobs, Arbeitslosigkeit – Anton Galba weigerte sich, den ganzen Wust durchzulesen, den ihm Nathanael Weiß ins Büro gebracht hatte. Schon die Anfertigung von Aktenkopien war strafbar, erst recht, dieselben dann amtsfremden Personen zur Einsicht zu überlassen … Gab es dieses Wort überhaupt: amtsfremd ? Anton Galba war vollkommener juristischer Laie, hätte aber eine hohe Summe darauf verwettet, dass die Handlungsweise seines Schulkameraden illegal war. Und dass er diese Schriftstücke las, war es ebenso, wahrscheinlich schon, dass er sie in seinem Büro aufbewahrte – aber was hast du denn, lieber Toni , meldete sich eine Stimme in seinem Kopf, was regst du dich über

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