Alles Glück kommt nie
weg, zu erschöpft, zu schmutzig und zu ausgetrocknet, um mich auf ihn einzulassen.
Eine Autobahnauffahrt weiter: »Ist Gott denn in Ihrem Leben?«
Jesses. Und das muss ausgerechnet mir passieren ... »Nein.«
»Soll ich Ihnen was sagen? Das hab ich gleich gewusst. Ein Mann, der seinen Koffer einfach so zurücklässt, da habe ich mir gleich gedacht: Gott ist nicht da.«
Er wiederholt es noch einmal und schlägt aufs Lenkrad. »Gott-ist-nicht-da.«
»Genau ...«, gebe ich zu.
»Das stimmt nicht! Er ist da! ER ist überall! Er zeigt uns den We–«
»Nein, nein«, ich unterbreche ihn, »da, wo ich herkomme, von wo ich zurückkomme. Da ist er nicht. Glauben Sie mir.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Das Elend –«
»Aber Gott ist im Elend! Gott bewirkt Wunder, verstehen Sie?«
Blick auf den Tacho, 90, ich kann unmöglich die Tür aufmachen.
»Ich, zum Beispiel. Früher war ich – ein Taugenichts!« Er ereifert sich: »Ich habe getrunken! Gespielt! Habe mit vielen Frauen geschlafen! Ich war kein Mensch, verstehen Sie? Ich war ein Taugenichts! Doch der Herr hat sich meiner angenommen. Der Herr hat mich wie eine Blume gepflückt und zu mir gesagt: Claudy, du ...«
Ich werde nie erfahren, was ihm der Alte vorgeschwindelt hat, ich war eingenickt.
Wir standen vor der Eingangstür zu meinem Wohnblock, als er mein Knie anstieß.
Auf der Rückseite der Rechnung hatte er die Anschrift des Paradieses vermerkt: Kirche von Auberviiiers, 46–48, Rue Saint-Denis, 10–13 h .
»Sie müssen nächsten Sonntag kommen, ja? Sie müssen sich sagen: Wenn ich in dieses Auto gestiegen bin, dann war das kein Zufall, es gibt nämlich ... (große Augen) keinen Zufall.«
Das Fenster auf der Beifahrerseite war runtergekurbelt, ich beugte mich vor, um mich von meinem Hirten zu verabschieden: »Und Sie, äh, – schlafen Sie jetzt überhaupt nicht mehr – äh – mit Frauen?«
Breites Lächeln. »Nur mit denen, die der Herr mir schickt.«
»Und woran erkennen Sie die?«
Sehr breites Lächeln. »Es sind die Schönsten ...«
Man hat uns alles ganz falsch beigebracht, überlegte ich, als ich das Tor aufstieß, ich selbst war, soweit ich mich erinnere, nur ein einziges Mal ehrlich, nämlich als ich die Worte nachsprach: »Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach.«
Ja, genau. Daran glaube ich wirklich.
Und du, klatsch, klatsch , beim Hochsteigen, ja du , meiner vier Etagen, stellte ich entsetzt fest, dass ich diese verfluchte Leier im Kopf hatte, in einem Taxi,ja, in einem Taxi .
Oh, yeah.
Die Tür war mit dem Sicherheitsbügel verriegelt, und die zehn Zentimeter, um die mir meine Wohnung widerstand, machten mich rasend. Ich kam von zu weit her, hatte zu viel gesehen, der Flieger hatte zu viel Verspätung gehabt, und Gott war zu anspruchsvoll. Bei mir knallte eine Sicherung durch. »Ich bin’s! Macht auf!«
Ich brüllte und hämmerte an die Tür: »Jetzt macht endlich auf, Mann!«
Snoopys Schnauze tauchte im Türspalt auf.
»He, ist ja gut. Reg dich ab. Reg dich ab ...«
Mathilde löste den Bügel, trat zur Seite und hatte mir schon den Rücken zugekehrt, als ich über die Schwelle trat.
»Guten Abend!«, sagte ich.
Sie hob nur kurz den Arm und bewegte lässig ein paar Finger.
Enjoy prangte hinten auf ihrem T-Shirt. Warum nicht? Einen Augenblick lang hatte ich nicht übel Lust, sie an den Haaren zu packen und ihr den Hals zu brechen, damit sie sich umdrehte und mir in die Augen schaute, woraufhin ich diese vier kurzen und altmodischen Silben wiederholen würde: Guten Abend. Doch dann, ach ... ließ ich es bleiben. Die Tür zu ihrem Zimmer war sowieso schon zugefallen.
Ich war eine Woche nicht hier gewesen, würde übermorgen wieder wegfahren – und was soll das Ganze?
He? Was spielt es schon für eine Rolle? Ich war sowieso nur auf der Durchreise.
Ich ging in Laurence’ Schlafzimmer, das auch mein Schlafzimmer war, glaube ich. Das Bett war perfekt gemacht, die Decke glattgezogen, die Kopfkissen waren aufgeplustert, bauchig, hochmütig. Traurig. Ich drückte mich an der Wand entlang und setzte mich vorsichtig auf den Rand des Lattenrosts, um keine Falten zu hinterlassen.
Ich betrachtete meine Schuhe. Ziemlich lange. Sah aus dem Fenster. Auf die Dächer und das Militärhospital Val-de-Grâce in der Ferne. Und dann auf ihre Kleider über der Rückenlehne des Sessels.
Ihre Bücher, ihre Wasserflasche, ihr Notizbuch, ihre Brille, ihre Ohrringe. Das alles musste etwas zu bedeuten
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