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Alles Glück kommt nie

Titel: Alles Glück kommt nie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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am Abend noch mal ins Büro, um eine weitere Nacht durchzuakkern. Und außerdem hatte ich mich immer vor Pferden gefürchtet. Auch vor den kleinen. Vor allem vor den kleinen. Au au au, das alles wog schwer in einem Stau. Sehr schwer. Und während meine Gedanken um all diese Probleme kreisten, ich genervt, angespannt, kurz vorm Explodieren, plötzlich diese Worte:
    »Manchmal wünsche ich mir, du wärst mein Vater ...«
    Ich hatte nicht geantwortet, aus Angst, alles kaputtzumachen. Ich bin nicht dein Vater oder ich bin wie dein Vater oder ich bin ein besserer Vater als dein echter oder, nein, ich meine, ich bin – pff. Mein Schweigen, so schien es mir, konnte dies alles sehr viel besser ausdrücken.
     
    Aber heute. Heute, wo das Leben so – ja, wie nun? So mühselig geworden ist, so leicht entflammbar auf unseren hundertzehn Quadratmetern. Heute, wo wir fast nicht mehr miteinander schlafen, Laurence und ich, heute, wo ich jeden Tag eine Illusion verliere und pro Tag ein Lebensjahr auf der Baustelle, wo ich mich mit Snoopy unterhalte und meinen Kreditkartencode eintippen muss, um geliebt zu werden, heute hasse ich all die Warnblinklichter...
    Ich hätte sie natürlich einschalten sollen.
    Ich hätte den Wagen sofort auf den Standstreifen ziehen sollen, für einen Nothalt, wie es so schön heißt, in die Nacht hinausgehen, ihre Tür aufmachen, sie an den Füßen herausziehen und meinerseits erdrücken.
    Was hätte mich das gekostet? Nichts.
    Nichts, ich hätte nichts weiter sagen müssen. Na ja. So stelle ich sie mir jedenfalls vor, die verpasste Szene: wirkungsvoll und stumm. Weil die Worte, verflixt noch mal, die Worte ... Damit konnte ich noch nie besonders gut umgehen. Hatte einfach nicht das Rüstzeug dazu.
    Noch nie.
    Und jetzt, wo ich mich zu ihr umdrehe, hier, vor dem Gitterzaun der Medizinischen Hochschule, und ihr hartes, böses, fast hässliches Gesicht sehe, wegen einer winzigen Frage von mir, der ich sonst niemals welche stelle, überlege ich, dass ich besser auch diesmal die Klappe gehalten hätte.
     
    Sie ging vor mir her, mit großen Schritten, den Kopf gesenkt. »Untirglaubstuirwädbessa?«, hörte ich sie stammeln.
    »Pardon?«
    Kehrtwende. »Und ihr? Glaubst du, ihr wärt besser?« Sie war stinkwütend.
    »Glaubst du, ihr wärt besser? He? Glaubst du, ihr wärt besser? Ihr wärt nicht berechenbar? Ihr?«
    »Wer ihr?«
    »Wer ihr, wer ihr ... Ihr halt! Ihr! Mama und du! Ich frage mich, in welcher Statistik ihr angekommen seid. In der über total kaputte Ehen, die ...«
    Stille.
    »Die was?«, wagte ich mich leichtsinnig vor.
    »Das weißt du genau.«
    Ja, ich wusste es genau. Und das ist der Grund, warum wir am Ende schwiegen.
    In dem Moment beneidete ich sie um ihre Ohrstöpsel, während ich nur meinen eigenen Lärm hatte, der mich erfüllte.
    Die Rückkopplung und mein von Motten zerfressener Raincoat.
     
    In der Rue de Sèvres, vor dem Kaufhaus mit dem irreführenden Namen, das mich schon jetzt mittellos machte, bog ich kurzerhand in eine Kneipe.
    »Ist es dir recht? Ich brauche noch einen Kaffee vor der Schlacht ...«
    Sie verzog das Gesicht und folgte mir.
     
    Ich verbrannte mir die Lippen, während sie weiter an ihrem Teil herumfummelte. »Charles?«
    »Ja.«
    »Kannst du mir sagen, was der hier singt? Ich verstehe zwar einiges, aber nicht alles.«
    »Kein Problem.«
    Und wir teilten uns wieder den Sound. Sie Dolby, ich Stereo. Jeder mit einem Ohr.
    Aber die ersten Klavierakkorde wurden gleich vom Kaffeeautomaten übertönt.
    »Moment.«
    Sie zerrte mich ans andere Ende der Theke.
    »Jetzt?«
    Ich nickte.
    Wieder eine Männerstimme. Heißer.
    Und ich begann mit meiner Simultanübersetzung:
    » Wärst du die Straße, ich würde gehen ... Moment. Es kann der Weg oder die Straße sein, je nach Zusammenhang. Willst du es poetisch oder wörtlich?«
    »Mensch«, stöhnte sie und stellte den Ton ab, »du machst alles kaputt. Ich will keine Englischstunde, ich will nur wissen, was der Typ singt!«
    »Okay«, sagte ich ungeduldig, »lass mich den Song erst mal allein hören, dann sag ich’s dir.«
    Ich nahm ihr die Dinger weg und hielt mir mit beiden Händen die Ohren zu, während sie mich von der Seite hektisch beobachtete.
     
    Ich war groggy. Mehr, als ich gedacht hätte. Mehr, als mir lieb war. Ich – ich war groggy.
    Verdammte Liebeslieder. Hinterhältig. Brechen uns in nicht mal vier Minuten das Rückgrat. Verdammte Banderilleros in unseren der Statistik gehorchenden Herzen.
    Ich gab ihr

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