Alles Gold Der Erde
solchen Leuten unweigerlich mehr Respekt ein als eine arme.
Es wurde Zeit, wieder den Kartentisch aufzusuchen. An der Bar blieb sie stehen und schaute sich um. Alles lief wie geschmiert. Norman war zum Essen fortgegangen, ein anderer Franzose aus New Orleans vertrat ihn so lange als Croupier am Roulette. Rosabel spielte Klavier. Mr. Fenway, der nicht sehr anmutig rittlings auf einem Stuhle saß, lauschte so ernst, als vernehme er einen Grabgesang und nicht einen Walzer. Nahe beim Klavier befand sich der Farotisch, wo die Spieler mit reglosen Mienen stumm brüteten. Zwei junge Mexikaner vergnügten sich beim Monte, und ein Yankee, der mit dem Akzent von Harvard sprach, hatte Marnys Vingt-et-un-Tisch übernommen.
Marny hörte das Klimpern der Münzen und das Klirren von Glas. Gelegentlich ertönte auch ein Glockenzeichen, das einen Barkeeper herbeirufen sollte, damit der Spieler nicht aufzustehen brauchte. Vor der Bar machte sich ein etwa sechzehnjähriger Bursche mit Besen und Müllschaufel zu schaffen, und zwar säuberte er den Teppich. Solche Jungen mußten pro Tag fünfzehn Gramm Goldstaub entrichten; dann durften sie hier arbeiten. Sie fegten Zigarrenasche, Abfälle und allerlei Krimskrams in Säcke. Abends durchsiebten sie dann ihre Beute. Erfolgreiche Spieler, trübäugige Trinker, Männer, die einen guten Sommer in den Minen hinter sich hatten – sie alle gingen mit ihrem Goldstaub nicht besonders vorsichtig um. Wenn sie ihre Börsen herauszogen, um die Zechen zu begleichen, scherten sie sich wenig um die Körner, die dabei auf den Teppich fielen. Wenn einer dieser Jungen abends seine Abfälle untersuchte, fand er meist genug Gold, um noch ein paarmal die verlangten fünfzehn Gramm zu blechen. San Francisco war eine schmutzige Stadt, aber nirgendwo waren die Teppiche so sauber wie in den Spielhäusern an der Plaza.
Die Eingangstür wurde geöffnet, und Marny hörte den Steward »Guten Abend, Sir«, sagen. Sie blickte zur Tür und zuckte zusammen, denn Loren war eingetreten. Der Wind hatte seine Wangen gerötet, seine braunen Augen leuchteten, und als er seinen Hut abnahm, lächelte er so glücklich und impulsiv, wie ein Mann nur lächelt, wenn er sich dessen gar nicht bewußt ist. Loren war noch nie im Calico-Palast gewesen. Neugierig sah er sich um, wie ein Junge aus der Stadt, der zum erstenmal auf einen Bauernhof kommt.
Marny eilte ihm entgegen und umfaßte seine Rechte mit beiden Händen. »Loren! Kommen Sie näher. Ich bin froh, daß Sie da sind. Sie bringen eine frohe Nachricht, ich sehe es Ihnen an.« Sie zog ihn zur Bar.
Loren nickte liebenswürdig und eifrig. »Es ist ein Junge!« stieß er hervor.
»Und Kendra?«
»Sie ist in Ordnung. Wäre ich denn sonst so glücklich? Sie hat fest geschlafen, als ich fortging. Mrs. Chase ist jetzt bei ihr. Sie wird so lange bleiben, bis ich wieder zurückkomme.«
»Ach, Loren, ich freue mich ja so für Sie!« rief Marny aus. Dann wandte sie sich dem nächsten Barkeeper zu. »Gießen Sie Mr. Shields ein, was immer er wünscht. Er ist mein Gast. Wie wär's mit Champagner, Loren? Schön, ich trinke auch ein Glas.«
Der Barkeeper grinste und schenkte ein. Als sie die Gläser hoben, sagte Marny:
»Ich vermute, er wird Loren Shields junior heißen?«
Loren kicherte. »Ich bin noch nicht ganz sicher, aber ich hoffe es.«
Die Männer an der Bar lauschten mit einer gewissen Wehmut. Nur wenige Männer in San Francisco besaßen eine Familie. Falls sie eine hatten, lebte sie zwei- oder dreitausend Meilen voneinander entfernt. Sie gratulierten Loren. Jeder wollte ihn zu einem Drink einladen. Er lehnte jedoch ab. »Es ist wohl besser, wenn ich nüchtern nach Hause komme«, meinte er. »Ich bin nur auf einen Sprung herübergeeilt, um Marny Bescheid zu sagen.«
»Wann darf ich Kendra sehen?«
Loren wußte es nicht recht. »Es hängt wohl davon ab, wie Kendra sich fühlt. Sie behaupten, der Kleine sähe aus wie ich.«
Das konnte nun Marny freilich nicht verstehen. Soweit ihr bekannt war, ähnelte ein Baby dem andern. Sie waren kleine, sich windende Fleischklümpchen. Wenn jedoch Loren der Ansicht war, das Baby habe Ähnlichkeit mit ihm, so war sie zu der Bemerkung bereit, dies sei ja großartig.
»Und er ist am Erntedanktag auf die Welt gekommen!« fügte Loren hinzu.
»Herrlich!« beteuerte Marny.
Das fand auch Loren.
Marny hätte ganz gern noch eine Weile an der Bar mit ihm geplaudert. Die Glückseligkeit, die Loren ausstrahlte, wirkte geradezu ansteckend. Sie
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