Alles Gold Der Erde
wir waren, haben wir uns inmitten der hübschen Dinge dort nicht wohl gefühlt. Von Mr. Chase sind wir allerdings herzlich empfangen worden, und auch Loren ist herbeigeeilt, um uns von seinem Sohn zu berichten. Wir haben uns dann von Kopf bis Fuß neu eingekleidet. Loren hat uns das St.-Francis-Hotel empfohlen und ein Badehaus in der Kearny Street.«
»Das ist gar nicht übel«, meinte Hiram. »Den ganzen Tag über wird geheizt, das heiße Wasser fließt in Strömen. Wir haben den Dreck von Sacramento abgewaschen. Schließlich waren wir wie aus dem Ei gepellt, wie die feinen Gentlemen.«
»Gentlemen seid ihr ja auch«, beteuerte Marny. »Ich mag euch gut leiden. Wie lange werdet ihr denn in der Stadt bleiben?«
Pocket lachte. »Wir werden die Arbeit von Gentlemen tun.«
Hiram wurde ernst. »Schwingtröge sind jetzt überholt, Marny. Natürlich hat mancher zuweilen noch eine Glückssträhne, aber mit einfachen Instrumenten ist immer weniger Gold zu finden. Nun reden sie von Brechmaschinen, Schleusen, Staudämmen.«
»Was soll das?« fragte Marny.
»Ich weiß auch nicht genug darüber, um es genau erklären zu können. Jedenfalls geht man an den Placers jetzt mit wissenschaftlichen Mitteln zu Werk. Mit andern Worten: Die Sache macht keinen Spaß mehr. Ning, Pocket und ich sind der Meinung, wir gehen am besten mit der Zeit.«
Sie nickte zustimmend. »Ich beglückwünsche euch, Jungs. Wie ich schon immer gesagt habe, ist der schlaueste Spieler derjenige, der im rechten Augenblick aufhört. Was fängt Ning jetzt an?«
»Ning hat sich in Sacramento Grundbesitz gekauft. Auf einer Parzelle hat er ein wetterfestes Zelt errichtet. Darin haust er unter Umständen, die er luxuriös nennt. Wir haben ihn dazu bewegen wollen, auch nach San Francisco zu gehen, was er allerdings abgelehnt hat. Die Stadt werde für seinen Geschmack zu groß, hat er gesagt.«
Marny nickte wiederum. »Er hat recht. Er soll nur tun, wozu er Lust hat. Aber was ist das für eine Gentlemenarbeit, von der ihr gesprochen habt?«
Hiram hatte sich an einem kürzlich gegründetem Bankhaus beteiligt. Pocket vertraute Marny mit seinem bescheidenen Lächeln an, daß er Teilnehmer des Mr. Gilmore geworden sei, der in der Washington Street eine Buchhandlung besaß. Marny hatte schon davon gehört. Man konnte sich dort für eine monatliche Gebühr einschreiben. Mr. Gilmore führte die Lokalzeitungen und bezog auch dank der Dampfergesellschaft alle amerikanischen und ausländischen Zeitungen und Zeitschriften. Außerdem nahm er die Post seiner Kunden in Empfang. In seinem Laden standen Tische mit Federn und Tinte, wo die Leute Briefe nach Hause schreiben konnten. Da nur wenige längere Zeit an einem Ort blieben, hatte Mr. Gilmore seine Buchhandlung als eine Art Umschlagplatz eingerichtet: Briefe, die als Adresse ›irgendwo in Kalifornien‹ angaben, wurden von ihm aufbewahrt. Die Buchhandlung glich einem Club, in dem sich Männer trafen und Bekanntschaften schlossen. Sowohl Mr. Chase als auch Mr. Fenway, desgleichen Loren und Dwight Carson gehörten zu den Mitgliedern.
»Ich glaube, die Arbeit dort wird mir gefallen«, meinte Pocket. »Ich habe gern Menschen um mich.«
Marny lächelte ihm verständnisvoll zu. Pocket mochte die Menschen wirklich gern. Vermutlich würde er im Laufe dieses Winters tausend Geschichten von den Männern erfahren, die nach Kalifornien aus allen möglichen Gründen gekommen waren: Die einen führten eine unglückliche Ehe, die andern wurden von ihrem Vater zu streng unter der Fuchtel gehalten, wieder andern setzten Sheriffs mit Haftbefehlen nach, diese litten unter irgendeinem Kummer, jene waren vom Leben enttäuscht, und schließlich fehlten auch die Tollköpfe nicht, die einfach losgezogen waren, um etwas zu erleben. »Fremde werden mir ihr Herz ausschütten, und ich werde ihnen zuhören. Hinterher werden sie sich wohler fühlen.«
»Ich glaube, das ist geradezu eine ideale Aufgabe«, entgegnete Marny. Nachdem sie einen Augenblick nachgedacht hatte, schloß sie: »Seid willkommen in San Francisco, Jungs! Ning hat recht. Eine große Stadt sind wir zwar noch nicht, aber wir befinden uns auf dem richtigen Weg.«
46
Auch die Schwarzbärte wollten Kendra sehen, und da es am nächsten Morgen nicht regnete, begleitete Marny sie den Hang hinauf. Sie kamen an der Buchhandlung vorbei, wo Pocket nun Teilhaber war, und blieben einen Augenblick stehen. Arbeiter brachten gerade ein neues Schild über der Tür an: ›Gilmore und Brent‹.
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