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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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nicht mit mir befassten. Ich ging, mich im Tümpel zu waschen, und von einem anderen Tümpel holte ich Wasser zum Trinken; es war lauwarm, trotzdem trank ich sehr viel davon. Jetzt hatte ich auch Hunger und holte Zwieback
aus dem Tornister und eine Konservenbüchse mit Fleisch, aber das Fleisch war in der Hitze zerlaufen, und darum machte ich eine Büchse mit Früchten auf. Die Frau sah mir zu, beobachtete meine Handbewegungen, als wohne sie einem Zauberkunststück bei. Das Fleisch wollte sie nicht annehmen; sie aß einen Pfirsich, aber er war etwas Neues, das sie unsicher machte. Vielleicht hätte sie lieber so ein scheußliches abessinisches Ragout gehabt aus an der Sonne gedörrtem Fleisch.
    Hier wurde ich wieder Herr der Lage. Die Erinnerung vereinte uns, doch die Konservenbüchse errichtete von neuem eine hohe und unübersteigbare Wand zwischen uns. Jetzt verlangte es mich fortzugehen, ich hatte genug. Ein Buch und ein Geplauder in der Offiziersmesse eines Etappenkommandos, wo man vielleicht sogar einen Freund trifft, der einen nicht fragt, wann diese Geschichte endlich aufhört, und der einem nicht die Erzählung seiner eigenen Abenteuer aufdrängt!
    Ich musste weggehen, und ich hob den Tornister auf. Die Frau sagte nichts. Sie wusste, dass die Sache nicht lange dauern würde, und war von meinem plötzlichen Entschluss nicht überrascht, bedauerte ihn auch nicht. Vielleicht war ihr alles gleichgültig, obschon ihre Hände mit solchem Ungestüm meine Haut gesucht hatten. Ich konnte
mir den Grund für das Ungestüm nicht vorstellen. Da schaute die Frau mich an wie kurz zuvor, als ich sie gefragt hatte, ob ich hier entlang oder dort entlang richtig ginge. Es war alles zu Ende. Ihre Enttäuschung wurde erst deutlich, als ich mich von ihr verabschiedete und sie mich daran erinnerte, dass ich zum zweiten Mal an diesem Tag einen Menschen verließ und dabei ein Schuldgefühl zu überwinden suchte. Zuerst hatte ich den Soldaten mit dem Lastwagen im Stich gelassen (vielleicht wartete er immer noch auf Hilfe), jetzt ließ ich sie im Stich - zweitausend Jahre.
    «Ja, zweitausend Jahre», dachte ich,«aber die sind vergangen. Sind nicht vier Tage mehr wert?»Und ich lachte, während die Frau, das Kinn auf die Knie gestützt, die sie mit den Armen umfangen hielt, in ihre Gedanken versunken zu sein schien.«Es ist spät», schloss ich,«und nichts hält mich jetzt hier unten zurück.»Die Frau war in meinen Augen elend und erbärmlich geworden und meine Sünde bedeutungslos. Auch die Natur war dieselbe wie vorher, feindselig, aber alt, verkommen, geblendet von einer Sonne, die keine Zweideutigkeiten mehr zuließ. Die Frau war nur eine Frau, sie hatte einen Namen, eine Schlafstatt, und diese Wassertümpel waren ihr jämmerliches Meer. Alles wurde lachhaft, und als ich mich dann daran erinnerte, dass es zwei Wegstunden von
hier einen Carabiniere gab, musste ich sogar lächeln.
    Ich zog die beiden Silbermünzen wieder aus der Tasche und legte sie noch einmal auf ihre Handfläche. Wieder sah sie sie an, versucht, sie zu nehmen, aber wieder gab sie sie mir zurück. Sie wollte nichts, und leider war ich stolz darauf.
    Nun setzte ich mich neben sie (nur eine Minute, die Zeit, um mich von ihr zu verabschieden) und öffnete den Tornister. Gab es irgendetwas in diesem Tornister, das ihr gefiel? Ich zog alles heraus, und jedes Mal nickte ich zum Zeichen, dass sie den Gegenstand nehmen könne, den ich ihr zeigte. Wollte sie ein Paar Unterhosen? Ein Hemd? Ein Handtuch, geradezu ein Hochzeitsgeschenk? Oder wollte sie diese kleine, in Oxford gedruckte Bibel? Es fehlt nur ein weißes Blatt, das unglücklicherweise einmal als Zigarettenpapier gedient hat, man merkt es aber überhaupt nicht. Oder diesen Wollpullover? Etwa das Toilettentäschchen? Vielleicht die Zahnpasta, o du Lilie im Tal? Doch nein, das Lächeln, das zuweilen den Ernst deines Gesichtes durchbricht, ist wie der Mond zwischen den Gewitterwolken. Also keine Zahnpasta. Dann… Nein, dies nicht, lassen wir dieses Päckchen Briefe in Ruhe. Vielleicht dieses Paar kurze Hosen? Ja, sie wollte die kurzen Hosen.

    «Zu wenig», dachte ich. Ich zeigte ihr die Uhr. Es war eine sehr schlechte Uhr, die in kritischen Augenblicken immer stehenblieb; das hatte sie gerade an diesem Tag bewiesen. Seit langem dachte ich daran, eine neue zu kaufen, und diesmal wollte ich es bestimmt in Asmara 3 tun. Welche bessere Gelegenheit gäbe es, eine Uhr loszuwerden, die einen unklaren Begriff von der Zeit

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