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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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plötzlichen Sprüngen und Grimassen, die Angst vortäuschen sollten, zum Lachen.
    Der Priester schritt mit dem Alten voraus und kümmerte sich nicht um diese ausgelassene Begleitung; doch zuweilen, wenn die drei vergaßen weiterzugehen, drehte er sich um, hob einen langen Stock in die Höhe und stieß einen kurzen Schrei aus, der die Macht hatte, diese munteren Müßiggänger sogleich aufzurütteln. In raschem Lauf holten sie den Würdenträger ein, aber der Tanz begann kurz darauf von neuem, und das Kind schien nicht müde zu werden, ihn zu bewundern. Ich sah sie den Wildbach überqueren und die Richtung zum Fluss einschlagen; noch ein paar Minuten lang drangen die Klänge der Geige und das Lachen der jungen Leute zu mir herüber.
    Als auch diese Laute verstummten, bemerkte ich, dass es heiß war und dass im Gehölz die geringe Feuchtigkeit der Nacht verdunstete. Die Uhr zeigte sechs an, aber ich konnte ihr keinen Glauben schenken, denn am Tag zuvor hatte ich
sie aufs Geratewohl gestellt, als sie stehengeblieben war. Mit Widerwillen band ich sie mir ums Handgelenk, und für einen Augenblick kehrten meine Gedanken zu der Frau zurück, die jetzt wenige Schritte von mir entfernt lag.
    Es war Zeit zu gehen, oder ich würde keine Lastautos mehr finden. Ja, ich musste mich sogar beeilen, und doch war noch so viel zu tun. Das Grab war in Ordnung, doch rings um den Felsblock gab es allzu viele Spuren unseres Aufenthalts. Ich kehrte im Laufschritt dorthin zurück, und als Erstes war ich darum besorgt, die Hülsen der vier Patronen, die ich verschossen hatte, wiederzufinden. Ich fand aber nur zwei.
    Auf der bräunlichen Lache wimmelte es von Fliegen; ich warf einige Hände voll Erde darauf, stampfte sie fest, und es gelang mir, die Stelle unkenntlich zu machen. Ich verstreute die Asche des Feuers, und mit ein paar Zweigen fegte ich alles weg. Ab und zu musste ich mich ausruhen. Dann zog ich mir das Hemd aus, es war von Blut beschmutzt, und zog jenes an, das ich am Tag zuvor angehabt hatte. Auf den Schuhen noch ein paar Spuren, aber der Staub des Weges würde sie sehr bald verwischen. Was blieb zu tun?
    Ich war ein paar Minuten lang wie betäubt, sonst hätte ich mir diese Frage überhaupt nicht gestellt, während ich in meinem Gedächtnis forschte
und mich von den Dingen, die ich rings um mich sah, beraten ließ. Die Taschentücher? Im Grab. Jedenfalls war kein Monogramm darauf, und sie konnten mir nicht schaden. Die Uhr, das war erledigt. Ah, der Korb! Ich suchte den Korb, er stand hinter einem Stein bei unserer Lagerstatt. Ich trug ihn weit weg und zündete ihn an. Jetzt war nichts weiter zu tun.
    Ich ging zum Tümpel und wusch mir die Hände. An der Rechten hatte ich mir einen Schnitt zugefügt, vielleicht mit irgendeinem Stein; ich seifte auch den Schnitt ein und knotete ein Taschentuch darum. Die Seife warf ich in die Büsche, und ein Rabe flog sogleich dorthin, um nachzusehen, um was es sich handle. Sie verließen mich keinen Augenblick, diese finsteren Vögel, machten sich rings um mich her eifrig zu schaffen und flüchteten nur, wenn ich sie verscheuchte. Jetzt konnte ich gehen. Und doch vermochte ich mich nicht zu entschließen, gleichsam in einer Zwangsvorstellung, wie wenn man auf eine lange Reise geht und fürchtet, etwas zu vergessen, und das Zimmer durchsucht, Schubladen und Schränke aufmacht und die Gegenstände prüfend in die Hand nimmt. Was sollte ich tun? Ich sollte nichts tun. Nicht einmal ein Polizist würde an diesem Ort Spuren meines Vorübergehens finden. Es war nichts weiter zu bedenken. Vielleicht würde
niemand die Frau suchen, obschon diese Gesellschaft… Also, es war alles in Ordnung. Was fehlte noch?
    Ich ging den Weg bis zum Grab zurück und legte mehr Gesträuch darauf. Und da ich den Tornister bei mir hatte, kehrte ich nicht zum Felsblock zurück (dort war alles in Ordnung, sogar die Eierschalen hatte ich vernichtet), sondern schlug den Weg zur Brücke ein.
    Ein letzter Blick aufs Grab, ehe ich es für immer aus den Augen verlor, und leb wohl!«Leb wohl, Frau», dachte ich.«Du hast mich den Wert vieler Dinge gelehrt in so kurzer Zeit. Ich werde sie nicht vergessen können. Und vielleicht marschiere ich deshalb gelassen dahin und fühle mich gewandelt, größer geworden, lebendiger, innerlich schwerer, denn alle Erfahrungen machen reicher. Ich sehe dieses wüste Gehölz mit anderen Augen an.»
    Ich wechselte das Magazin der Pistole aus und steckte sie in ihre Tasche. Es ist die gleiche

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