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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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die unter dem Baum saßen, und ehe sie sich trennten, küssten sie einander auf die Wangen.

    Der Mann, der auf uns zukam, war sehr alt und schaute beim Gehen zu Boden, wie von einem Gedanken beherrscht, welcher ihn hinderte, sich zu beeilen. Wir saßen auf den Stufen der Telefonbaracke, ich und der Leutnant, angelockt von dieser Baracke, wo die Nachrichten zusammenliefen: Wenn es gute Nachrichten wären, etwa dass eine Abteilung in die Heimat zurückkehrte, so würde der Mann in der Zentrale sie uns durchgeben - mit einer unausgesprochenen Hoffnung.
    Mir war übel, doch nur von der übergroßen Mattigkeit, und ich hörte die Worte des Leutnants kaum. Er erzählte mir irgendetwas, das geschehen war, ein weiterer Angriff von Freischärlern auf eine Baustelle, es hatte viele Verletzte gegeben, keinen Toten zum Glück; aber die Nachricht interessierte mich nicht, und ich stellte keine Fragen. Und dann fragte er mich, vielleicht von meinem Schweigen ermutigt, ob ich die Geschichte vom Salat-Flugzeug kenne. Ich gab keine Antwort. Der Alte kam auf uns zu, und als er an uns vorbeiging mit seinem immer starr zu Boden gerichteten Blick, erkannte ich ihn wieder: Es war derselbe alte Mann, der den Priester auf dem Pfad durch das Gehölz begleitet hatte. Er ging barfuß, tief versunken in einen Gedanken, der vielleicht kaum zu ertragen war, aber bewirkte, dass er dann und wann stehenblieb und die Dinge, die ihn umgaben,
betrachtete. Oder vielleicht waren ihm nur die Kieselsteine lästig, die zwischen den herabgefallenen Blättern versteckt lagen. Als er vor der Baracke vorüberging, sah ich, dass er irgendetwas aufhob (vielleicht den Zigarettenstummel, den ich kurz zuvor weggeworfen hatte?), dann verschwand er hinter der Palisadenwand der Einfriedung. Er kam wieder zum Vorschein und schlug die Richtung zu den letzten Häusern ein. Bald danach trat er in eines jener Häuser ein, nein, er blieb noch auf der Türschwelle stehen, den Rücken zum Platz gewandt.
    Gern hätte ich den jungen Mann verlassen, aber der Gedanke, dass der Abend schon hereinbrach, hielt mich davon zurück; ich gab kurz angebunden zur Antwort, dass ich seine Geschichte nicht kenne und er sie ruhig erzählen solle. Er schien meine Unhöflichkeit keineswegs zu empfinden und sagte, die Geschichte handle von einem Flugzeug, das zur Aufklärung eingesetzt wurde. Es flog jeden Morgen von einem Lager der alten Kolonie ab, und ehe es mit seiner Aufklärungstätigkeit jenseits des Flusses begann, warf es über dem Zelt des Generals ein Paket mit Kopfsalat ab. Das Flugzeug war so pünktlich mit seinem Kopfsalat, dass die bewaffneten Eingeborenen auf der anderen Seite des Flusses ihre Uhr danach richteten, wenn sie es auftauchen sahen.

    «Vorausgesetzt», fügte der Leutnant noch hinzu,«dass sie eine Uhr besaßen.»Als er diese Worte gesagt hatte, war er einen Augenblick lang zerstreut, bevor er von neuem begann.
    (Jetzt sprach der Alte mit einer jungen Frau, während er dem Platz noch immer den Rücken zukehrte. Er blieb reglos stehen, und die Frau, die zur Tür gekommen war, blickte umher und zeigte einmal auf die Wirtschaft und dann wieder zum Etappenkommando hinüber, dabei redete sie sehr rasch. Schließlich aber ging sie wieder hinein, und kurz darauf leuchtete der Türausschnitt hell auf; die Frau hatte eine Lampe angezündet. Der Alte entfernte sich in Richtung auf die Wirtschaft, die jetzt voller Leute war und immer heller leuchtete, da der Abend den Platz in Dunkel hüllte.)
    «Also», fing der Leutnant wieder an,«der Beobachter in dem Flugzeug sah nie einen Bewaffneten auf der anderen Seite des Flusses. Auch nicht einen einzigen. Und da dachte der General, dass es an der Zeit wäre, eine Abteilung hinzuschicken, um vor der Endoffensive einen Beweis der Stärke zu liefern. Die Abteilung brach widerwillig auf, denn alle wussten, dass es auf der anderen Seite nur allzu viele Bewaffnete gab. Und der Offizier, der die Abteilung befehligte, ein schweigsamer junger Mann, der immer lächelte, sagte zu mir, ehe er fortging: ‹Ich hasse Kopfsalat.
› Weiter nichts. Er musste gehen, und er machte es nicht lange.»
    (Der Alte sprach jetzt mit der in Rosa gekleideten Äthiopierin, die ihm mit weit ausholenden Armbewegungen antwortete und ihn dann aufforderte, sich zu setzen. Der Alte ließ sich neben der Tür nieder und blickte auf den Platz, ohne ihn jedoch zu sehen, denn seine Gedanken waren gewiss anderswo; und als die Äthiopierin einen Becher vor ihn hinstellte,

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