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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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schlimmer: Zuerst hatte ich sie missbraucht und danach umgebracht, damit sie nicht zu einer Kommandostelle laufen und Genugtuung fordern sollte für das erlittene Unrecht.
    Nein, ich würde bleiben. Zum Teufel mit der Ehrbarkeit, dem Gesetz und allem Übrigen. Ich konnte sie nicht verlassen, auch wenn meine Tat unverstanden bleiben würde. Ich musste zum Dorf laufen, den Weg zum Dorf finden, mir helfen lassen. Wenn wir sie dann bei der Rückkehr tot vorfinden würden, umringt von neugierigen Raben, musste ich die Schuld, sie getötet zu haben, auf mich nehmen. Der Priester würde kommen, um die Leiche zu segnen, der Bestattungsritus würde sich abspielen, und ich (da ich diese Frau gebeten hatte, mich in eine zwar verleugnete, aber noch immer gegenwärtige Zeit zurückzubringen) musste für die Folgen büßen. Doch man braucht nicht hinzuzufügen, dass dieser Entschluss zunichtewurde, während ich der Frau zu trinken gab und ihre Hand die meine berührte.
    Was hatte ich mit dieser Frau zu schaffen? Und ihre rauhe Hand, warum verweilte sie auf der meinen, wie um einen Besitz anzudeuten, der weiter
ging als jener, den wir uns flüchtig zugestanden hatten? Es war gewiss nicht die Hand, die mich gehalten und liebkost hatte, um mich zu erregen; es war eine Hand, die um andere Gefühle bat, während ich ihr nur Mitleid geben konnte. Ich stand auf und dachte daran, mit ihr Schluss zu machen.
    Ich musste sie töten. Viele Gründe sprachen dafür, sie zu töten, und alle waren gleichermaßen stark. Ich musste mit ihr Schluss machen und die Leiche verstecken. Und vor allem keine Zeit verlieren: Die Morgendämmerung war schon angebrochen. Ja, sogar die Vögel, vom hellen Schimmer geweckt, begannen sich schon zu regen. Der übliche Rabenschwarm krächzte am Wildbach zwischen den Bäumen und flog immer wieder plötzlich auf. Vom Tal herauf kamen die letzten Schreie der Tiere, die sich, vom Licht geblendet, in ihre Höhlen zurückzogen.
    Ich entfernte mich von der Frau und durchforschte ringsum das Gehölz, das im Norden zu einer Schlucht steil abfiel und dann zum Hochland hin wieder anstieg. Nach fünfzig Schritten hatte ich gefunden, was ich suchte, einen Spalt, breit und lang genug, dass ein Mensch liegend hineinpasste.
    Ich kehrte zur Frau zurück, und während ich ihr zulächelte, zog ich den Tornister unter ihrem Kopf hervor und tat so, als suchte ich etwas darin;
aber in Wirklichkeit wollte ich nur meinen Tornister haben. Ich war entschlossen, nicht die geringste Spur meines Verweilens an diesem Ort zu hinterlassen, und ich wollte keinen blutbefleckten Tornister mit mir herumtragen. Wenn ich ihn nämlich unter ihrem Kopf liegen ließe, wäre er sehr bald voll Blut.
    Ich war bereit. Ich beugte mich zu ihr nieder und streichelte ihre Stirn. Ich verscheuchte zwei Fliegen, die sich auf ihren Mundwinkeln niedergelassen hatten, und während ich ihr unentwegt zulächelte, nahm ich ihren Turban, der sich beim Schlafen gelöst hatte, und breitete ihn über ihr Gesicht, indem ich ihr verständlich machte, dass die Insekten sie nun nicht mehr belästigen würden. Andere Fliegen tranken sich voll an ihrer Hand, doch das störte sie überhaupt nicht. Als ich ihr das Tuch in Ordnung gebracht hatte, lief ich bis zum Pfad und spähte umher. Es war niemand da, und man hörte nicht das geringste Geräusch. Dort unten das Dorf (aber gab es überhaupt ein Dorf?) musste noch in tiefem Schlummer liegen. Das Hochland überzog sich mit einem rosigen Glanz.
    Ich ging zur Frau zurück und zog die Pistole aus der Tasche. Die Patrone war schon im Lauf, ich würde also kein verdächtiges Geräusch machen müssen. Ich dachte an nichts, nur daran, richtig
zu zielen. Das Krachen des Schusses, das man im Dorf vielleicht hören würde, machte mir Sorgen, deshalb raffte ich ihr Gewand zusammen und wickelte es um die Hand, die die Pistole hielt, in der Hoffnung, dass der Lärm dadurch gedämpft würde. Ich zog den Stoff straff an. In diesem Augenblick kam mir ein Zweifel, ob die Frau durch den Turban hindurch sehen könnte, was ich da machte. Doch nein, vielleicht war sie eingeschlummert.
    Und jener lange Klagelaut, der ihr entwich, war nur ein erstes Stöhnen des allzu langen Todeskampfes, der nun begann. Als ich sah, dass sie unter dem Turban den Kopf bewegte, schoss ich.
    Jetzt durfte ich die Ruhe nicht verlieren; im Grunde genommen hatte ich sie nicht getötet, sondern nur verhindert, dass sie noch länger litt.«Los, ist es das erste Mal, dass du eine

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