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Alles hat seine Zeit

Titel: Alles hat seine Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ennio Flaiano
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werfen, der mit der Pistole herumspielt. Und nachdem er ihren Tod festgestellt hätte, würde er seinen Rapport schreiben. Der Leichnam würde die Luft verpesten, und wir würden ihn begraben müssen, damit er nicht noch mehr Fliegen als nötig anlockte.
    Die Frau lag im Sterben (man sage mir nur nicht, dass man sie hätte retten können, ich werde mich immer weigern, dies zu glauben), also konnte ich ebenso gut eine oder zwei Stunden warten, bis sie gestorben war, und dann fortgehen. Unnütz, die Maschinerie der Bürokraten in Bewegung zu setzen, Untersuchungen zu veranlassen,
Fragebogen des Armeekorps auszufüllen: Womöglich gäbe es sogar einen Prozess. Der Major würde seine Worte höflich abwägen, sie vom Mund pusten wie Seifenblasen:«Gestatten Sie, dass ich Ihnen mein Erstaunen zum Ausdruck bringe»- und er würde im Zelt auf und ab gehen, und nachdem er den Rapport wieder durchgelesen hätte, würde er zum Schluss kommen:«Ich weiß nicht, wie ich da helfen soll. Gestatten Sie mir daher, dass ich Ihnen mein Erstaunen zum Ausdruck bringe.»Und der Hauptmann, der gutmütiger und verständnisvoll war, und die Kameraden von der Offiziersmesse, deren so edle und selbstlose Freundschaft ich als ein Geschenk des Schicksals schätzte, würden sie nicht alle sagen, dass gerade diejenigen die Allerschlimmsten sind, die das Bild der Ehefrau auf der Kommode zur Schau stellen? Und der Urlaub von einem Monat, dem die Entlassung aus dem Heeresdienst folgte, wenn er abgelaufen war? Ich konnte nicht verkennen, dass meine Argumente erbärmlich waren, aber so waren sie nun einmal, und gerade ihrer Erbärmlichkeit wegen kamen sie mir sehr stark vor. Der Prozess, der aufgehobene Urlaub, der Skandal. Aber musste ich den Skandal denn fürchten?
    Ich hatte noch nicht an«sie»gedacht. Der Skandal hätte sie beleidigt; ja, ich sah sogar ihr Gesicht
wieder vor mir in den ernsten Augenblicken, wenn ihr Mund schmal wurde, hart, wenn sich zwischen den Augenbrauen eine kleine Falte eingrub und mein Lächeln entwaffnete.

7
    Während ich, von einer Ungeduld gepackt, die ich nicht zu beherrschen vermochte, hin und her ging, stieß ich mit dem Fuß gegen irgendetwas. Es war die Pistole, die ich vorhin hatte fallen lassen, als ich zur Frau gelaufen war. Ich nahm sie auf, wischte sie an meinem Hemd sauber und steckte sie in die Hosentasche.
    Die Frau hatte sich beruhigt; sie hielt immer noch ihre Hand auf den Bauch gepresst und wartete, von einem Vertrauen getröstet, das nur die einfachen Seelen kennen. Gewiss, ich würde sie nicht verlassen. Und sobald der Morgen kam und der Buschwald seine wahren Farben und Formen, die jetzt wirr und undeutlich waren, wieder annahm, würde ich ihr auf eine ganz außerordentliche Weise helfen; vorauszuahnen, wie, war ihr zwar nicht gegeben, aber es war dennoch ganz sicher. Da ich mich am Abend zuvor mehr als einmal auf den Weg zur Brücke machen wollte, wusste sie, dass ich bald ihretwegen dorthin gehen
und einen von diesen wundertätigen«Herren», die einen gesund machen, zu ihr bringen würde. Ich bin überzeugt, dass sie dies dachte, denn sie schaute mich heiter an.
    Ihr Gesicht war nicht mehr schön, und um die Nasenflügel wurde es dunkler, ihr Mund war trocken, nach unten eingeschnitten, und zeigte sich in seiner Herbheit. Und auf der Stirn, zwischen den Brauen, begannen zwei sehr tiefe Falten dieses Antlitz zu verdüstern, das vorher, nur einen Augenblick lang, während sie schlief, alle«anderen»überschattet hatte. Nur ihre Augen blieben ruhig, leicht getrübt, und wirkten durch diese langen Wimpern wie halb geschlossen. Aber die Pupillen bewegten sich und folgten mir. Sie hatte nicht mehr gesprochen, seit ich sie hatte trinken lassen, und um mir den Klang ihrer Stimme zu ersparen, reichte ich ihr noch einmal die Feldflasche. Doch es war kein Wasser mehr darin, und ich musste zu einem der Tümpel gehen, den kurzen Weg beinahe ertasten, und sie füllen.
    Jetzt, da ich sie nicht sah, wurde der Gedanke, sie zu verlassen, wieder stärker. Ich musste sie verlassen. In einer, höchstens in zwei Stunden würde sie ohnehin sterben, das sagte ich mir immer wieder. Oder ich musste bleiben, alle Verantwortung auf mich nehmen, endlose Erklärungen abgeben und den Verdacht aufkommen lassen, dass ich aus
Gründen, die wenig deutlich waren, eine Frau umgebracht hatte. Etwa: Die Frau hatte sich mir widersetzt, und um ihr zu drohen, hatte ich die Pistole gezogen, und dann hatte ich geschossen. Oder, noch

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