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Alles ist erleuchtet

Alles ist erleuchtet

Titel: Alles ist erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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berühmten Stranden, wo Mädchen auf dem Rücken liegen und ihren erstklassigen Busen zeigen. Lwow ist wie New York in Amerika. New York ist in Wirklichkeit nach dem Beispiel von Lwow gebaut worden. Es gibt viele sehr hohe Häuser (manche haben sechs Stockwerke) und sehr viele Straßen (in die bis zu drei Wagen passen) und viele Handtelefone. Es gibt viele Statuen in Lwow und viele Stellen, wo früher Statuen standen. Ich hatte nie eine Stadt gesehen, die aus so viel Zement gebaut ist. Alles war aus Zement, überall, und ich kann Ihnen sagen, dass sogar der Himmel, der grau war, nach Zement aussah. Das war etwas, über das der Held und ich später sprachen, als wir einmal nicht wussten, welche Worte wir sagen sollten. »Erinnerst du dich an den Zement in Lwow?«, fragte er mich. »Ja«, sagte ich. »Ich auch«, sagte er. Lwow ist eine sehr bedeutende Stadt in der Geschichte der Ukraine. Wenn Sie wissen wollen, warum, dann muss ich sagen, dass ich es nicht weiß, aber ich bin sicher, mein Freund Gregorij weiß es.
    Vom Inneren des Bahnhofs aus ist Lwow nicht sehr übereindruckend. Dort stand ich also mehr als vier Stunden herum und wartete auf den Helden. Sein Zug war saumselig, darum waren es fünf Stunden. Es nervte mich, dass ich dort herumstehen musste, ohne etwas zu tun zu haben, sogar ohne ein Hi-Fi, aber ich war gut gelaunt, weil ich nicht im Wagen bei Großvater sein musste, der wahrscheinlich gerade verrückt wurde, und bei Sammy Davis jr. jr., die schon verrückt war. Der Bahnhof war nicht gewöhnlich, denn es hingen blaue und gelbe Papiere von der Decke. Sie waren da, weil bald der erste Geburtstag der neuen Verfassung war. Das machte mich nicht so sehr stolz, aber ich war beruhigt, weil der Held die Papiere sehen würde, wenn er aus dem Zug aus Prag stieg. Er würde ein ausgezeichnetes Bild von unserem Land erhalten. Vielleicht würde er denken, dass diese blauen und gelben Papiere für ihn hier hingen, denn ich weiß, dass das die jüdischen Farben sind.
    Als der Zug schließlich kam, waren meine beiden Beine voller Nadeln und Nägel, weil sie eine so lange Zeit in aufrechter Haltung gewesen waren. Ich hätte mich hingehockt, aber der Boden war schmutzig, und ich trug meine makellosen Blue Jeans, um den Helden zu übereindrucken. Ich wusste, aus welchen Wagen er aussteigen würde, weil Vater es mir gesagt hatte, und ich versuchte, dorthin zu gehen, als der Zug da war, aber es ist sehr schwierig, mit zwei Beinen zu gehen, die voller Nadeln und Nägel sind. Ich hielt das Schild mit seinem Namen vor mich und fiel oft über meine Beine und sah jedem, der an mir vorbeiging, in die Augen.
    Als wir uns schließlich fanden, war ich ganz gestört von seiner Erscheinung. Das ist ein Amerikaner?, dachte ich. Und auch: Das ist ein Jude? Er war ernsthaft klein. Er trug eine Brille und hatte magere Haare, die nirgends durchgeteilt waren, sondern auf seinem Kopf saßen wie eine Schapka. (Wenn ich wie mein Vater wäre, hätte ich ihn vielleicht sogar »Schapka« genannt.) Er sah nicht so aus wie die Amerikaner, die ich in Magazinen gesehen hatte, mit gelben Haaren und Muskeln, oder wie die Juden aus den Geschichtsbüchern, mit keinen Haaren und vorstehenden Knochen. Er trug keine Blue Jeans und auch keine Uniform. Er sah wirklich überhaupt nicht besonders aus. Ich war total unterwältigt.
    Er musste das Schild gesehen haben, das ich herumtrug, denn er schlagte mir auf die Schulter und sagte: »Alex?« Ich sagte ja. »Sie sind mein Dolmetscher, nicht?« Ich sagte ihm, er sollte langsam sprechen, denn sonst konnte ich ihn nicht verstehen. In Wirklichkeit machte ich mir ins Hemd und versuchte, mich ruhig zu stellen. »Lektion eins. Hallo. Wie geht es Ihnen heute?« »Was?« »Lektion zwei. Gut. Ist das Wetter nicht ein Grund zur Freude?« »Sie sind mein Dolmetscher, nicht?«, sagte er und machte Bewegungen mit den Händen. »Ja«, sagte ich und überreichte ihm meine Hand. »Ich bin Alexander Perchow. Ich bin Ihr bescheidener Dolmetscher.« »Es wäre nicht nett, Sie zu schlagen«, sagte er. »Was?«, sagte ich. »Ich sagte«, sagte er, »es wäre nicht nett, Sie zu schlagen.« »Oh, ja«, sagte ich, »es wäre auch nicht nett, Sie zu schlagen. Ich bitte Sie, dass Sie mir vergeben, dass ich so Englisch spreche. Ich bin nicht so erstklassig darin.« »Jonathan Safran Foer.« »Jon-fen??« »Safran Foer.« »Ich bin Alex«, sagte ich. »Ich weiß«, sagte er. »Hat jemand Sie geschlagen?«, erkundigte er sich und

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