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Alles ist erleuchtet

Alles ist erleuchtet

Titel: Alles ist erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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Aufrechten Synagoge eine Wahlurne aufgestellt, und die wahlberechtigten Bürger bildeten entlang der jüdisch-menschlichen Grenze eine Schlange. Bitzl Bitzl R. votierte für »Gefilteville«, der verstorbene Philosoph Pinchas T. für »Zeitkapsel aus Staub und Schnur«. Der Hochgeachtete Rabbi war für »SCHTETL DER FROMMEN AUFRECHTEN UND DER UNAUSSPRECHLICHEN WANKLER,MIT DENEN KEIN ANSTÄNDIGER JUDE ETWAS ZU TUN HABEN SOLLTE, ES SEI DENN, ER MÖCHTE EWIGEN URLAUB IN DER HÖLLE MACHEN«.
    Der verrückte Grundbesitzer Sofiowka N., der so viel Zeit und so wenig zu tun hatte, nahm es auf sich, die Wahlurne den ganzen Nachmittag zu bewachen und sie am Abend zur Amtsstube des Richters in Lwow zu bringen. Am nächsten Morgen war es offiziell: Dreiundzwanzig Kilometer südöstlich von Lwow, vier Kilometer nördlich von Kolki, mitten auf der Grenzlinie zwischen Polen und der Ukraine lag, wie ein Zweig, der auf einem Zaun gelandet ist, das Schtetl Sofiowka. Dieser neue Name war, sehr zum Kummer derer, die mit ihm leben mussten, offiziell und unwiderruflich. Er blieb dem Schtetl bis zu dessen Auslöschung.
    Natürlich nannte es niemand Sofiowka. Bis zu dieser unliebsamen offiziellen Namensgebung hatte niemand das Bedürfnis gehabt, es überhaupt irgendwie zu nennen. Doch jetzt, angesichts dieser Beleidigung - dass man das Schtetl nach einem Vollidioten benannt hatte - , waren die Einwohner entschlossen, diesen Namen nun gerade nicht zu gebrauchen. Manche nannten es sogar Nicht-Sofiowka und blieben dabei, selbst als man sich für einen neuen Namen entschieden hatte.
    Der Hochgeachtete Rabbi rief zu einer weiteren Abstimmung auf. DER OFFIZIELLE NAME KANN NICHT GEÄNDERT WERDEN, sagte er, DOCH WIR BRAUCHEN FÜR UNSERE EIGENEN ZWECKE EINEN VERNÜNFTIGEN NAMEN. Obgleich niemand genau wusste, was er mit »Zwecke« gemeint hatte - Hatten wir denn vorher auch schon Zwecke? Was ist eigentlich mein Zweck bei unseren Zwecken? - , schien diese zweite Abstimmung zweifellos notwendig. Die Wahlurne wurde vor der Aufrechten Synagoge aufgestellt, und diesmal wurde sie von den Zwillingen des Hochgeachteten Rab-bis bewacht.
    Der arthritische Schlosser Jitzak W. war für »Grenzland«, der Rechtsvertreter Isaak M. für »Schtetlbesonnenheit«. Lilla F., eine Nachkommin des ersten Wanklers, der das Buch hatte fallen lassen, überredete die Zwillinge, sie einen Zettel in die Urne werfen zu lassen, auf den sie »Pinchas« geschrieben hatte. (Auch die Zwillinge machten Vorschläge: Hannah schrieb »Chana«, und Chana schrieb »Hannah«.)
    Am Abend machte sich der Hochgeachtete Rabbi an die Auszählung. Es kam zu keiner Entscheidung - jeder Name hatte nur eine Stimme bekommen: Klein-Lutsk, AUFRECHTLAND, Neue Verheißung, Grenze, Josua, Schloss-und-Riegel... Da er der Meinung war, dass das Fiasko lange genug gewährt hatte, beschloss er, in der Annahme, dass Gott in einer solchen Situation genauso handeln würde, einen Zettel aus der Urne zu fischen und dem Schtetl den Namen zu geben, der daraufstand.
    JANKEL HAT SCHON WIEDER GEWONNEN. Er nickte, als er die mittlerweile vertraute krakelige Schrift sah. JANKEL HAT UNS TRACHIMBROD GETAUFT.
    23. September 1997 Lieber Jonathan, es hat mich zu einem freudigen Menschen gemacht, dass ich deinen Brief empfangen habe und weiß, dass du zu deinem abschließenden Jahr in der Universität wieder eingesetzt bist. In meinem eigenen Studium habe ich noch zwei Jahre Rest. Ich weiß noch nicht, was ich danach mache. Viele der Dinge, über die du mich im Juli informiert hast, sind noch immer bedeutsam für mich, zum Beispiel, was du gesagt hast über das Erforschen von Träumen, und dass du, wenn du einen guten und bedeutsamen Traum gehabt hast, die Aufgabe hast, ihn zu erforschen. Ich muss aber sagen, dass das für dich wahrscheinlich so leicht wie ein Baby ist.
    Ich habe nicht gesehnt, das zu erwähnen, aber ich erwähne es. Bald werde ich genug Geld besitzen, um einen Fahrschein nach Amerika zu kaufen. Vater weiß das nicht. Er denkt, dass ich meinen ganzen Besitz in berühmten Discotheken verbreite, aber da ist er in einer Täuschung, denn ich gehe oft an den Strand und hocke viele Stunden lang da, damit ich kein Geld verbreiten muss. Wenn ich am Strand hocke, denke ich daran, wie glücklich du bist.
    Gestern war Klein-Igors vierzehnter Geburtstag. Am Tag vorher hat er den einen Arm gebrochen, weil er wieder gefallen ist, diesmal von einem Zaun, auf dem er gelaufen ist, wenn du dir das vorstellen kannst. Wir haben

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