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Alles ist erleuchtet

Alles ist erleuchtet

Titel: Alles ist erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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Wäscheleine den im zweiten Stock eines Hauses befindlichen hinteren linken Bettpfosten einer alten Hure mit dem kühlen kupfernen Türgriff einer Eiskammer im Keller des goijischen Einbalsamierers Kerman K.; weiße Schnur führte vom Metzger quer über die ruhige (und vor Spannung atemlose) Fläche des Brod zum Heiratsvermittler; weiße Schnur war vom Schreiner zum Wachsmodellierer zur Hebamme gespannt und bildete über dem Brunnen der Hingestreckten Meerjungfrau in der Mitte des Hauptplatzes des Schtetls ein schiefes Dreieck.
    Die gut aussehenden Männer versammelten sich am Ufer, als die Parade der Festwagen begann und vom Wasserfall zu den Spielzeug- und Gebäckbuden führte, die bei der Gedenktafel aufgebaut waren, wo einst der Wagen umgestürzt oder nicht umgestürzt und versunken war:
    DIESE TAFEL BEZEICHNET DIE STELLE (ODER EINE STELLE NAHE DER STELLE), WO DER WAGEN EINES GEWISSEN
    TRACHIM B.
    (WIE WIR GLAUBEN)
    in den Fluss gestürzt ist.
    Schtetl-Proklamation, 1791
    Der erste Festwagen, der am Fenster des Annehmbaren Rabbis vorbeikam, von wo dieser durch ein Nicken das erforderliche Zeichen gab, war der aus Kolki. Er war mit Tausenden von orangefarbenen und roten Schmetterlingen geschmückt, die sich wegen der an der Unterseite befestigten, besonders zusammengestellten Tierkadaver auf dem Fahrzeug niedergelassen hatten. Auf dem hölzernen Podium stand reglos wie eine Statue ein rothaariger Junge in einer orangefarbenen Hose und einem orangefarbenen Hemd. Über ihm hing ein Schild: DIE EINWOHNER VON KOLKI FEIERN MIT IHREN NACHBARN AUS TRACHIMBROD! Dieser Junge würde eines Tages das Motiv zahlreicher Bilder sein, wenn die Kinder, die ihn jetzt sahen, alt geworden waren und mit Wasserfarbkästen auf den abgetretenen Schwellen ihrer Häuser saßen. Doch das wusste er damals noch nicht, und sie wussten es ebenfalls nicht, so wenig wie irgendeiner von ihnen wusste, dass ich dies eines Tages schreiben würde.
    Als Nächstes kam Rownos Wagen, der ganz und gar mit grünen Schmetterlingen bedeckt war. Dann die Wagen aus Lutsk, Sarny, Kiwertsi, Sokeretschi und Kowel. Auch sie waren über und über mit Farben bedeckt, mit Tausenden von Schmetterlingen, die von blutigen Kadavern angezogen wurden: braune Schmetterlinge, dunkelrote Schmetterlinge, gelbe Schmetterlinge, rosafarbene Schmetterlinge, weiße Schmetterlinge. Der Jubel der Menge entlang der Strecke klang so erregt und so wenig menschlich, dass eine undurchdringliche Mauer aus Lärm entstand. Das allgemeine Geschrei war derart anhaltend und durchdringend, dass man es für ein allgemeines Schweigen hätte halten können.
    Der Festwagen von Trachimbrod war mit blauen Schmetterlingen überzogen. Brod saß auf einer erhöhten Plattform in der Mitte, umgeben von den jungen Festprinzessinnen des Schtetls, die in blaue Spitzen gehüllt waren und die Arme wellenförmig bewegten. Vorn auf dem Wagen stand ein Violinquartett, das polnische Nationallieder spielte, und hinten stand ein zweites und spielte ukrainische Nationallieder. Die sich überlagernden Klänge erzeugten eine dritte, dissonante Melodie, die nur Brod und die Festprinzessinnen hören konnten. Jankel sah von seinem Fenster aus zu und befingerte die Perle, in der alles Gewicht zu stecken schien, das er in den vergangenen sechzig Jahren verloren hatte.
    Als der Wagen von Trachimbrod auf der Höhe der Spielzeug-und Gebäckbuden war, gab der Annehmbare Rabbi Brod das Zeichen, die Säcke ins Wasser zu werfen. Hinauf, hinauf.. Aller Blicke beschrieben einen Bogen von Brods Händen zur Oberfläche des Flusses, und er war das Einzige, was in diesem Augenblick im Universum existierte: ein einziger unauslöschlicher Regenbogen. Hinunter, hinunter... Erst als der Annehmbare Rabbi einigermaßen sicher war, dass die Säcke den Grund des Flusses erreicht hatten, gab er den Männern -mit einem weiteren dramatischen Nicken - die Erlaubnis, nach ihnen zu tauchen.
    Bei all dem Geplansche und Gespritze konnte man unmöglich erkennen, was im Wasser vor sich ging. Frauen und Kinder feuerten die Männer wild an, während diese wild herum-schwammen und einander an Armen und Beinen zerrten, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Sie kamen in Wellen an die Oberfläche, manchmal mit Säcken in den Händen oder zwischen den Zähnen, und tauchten dann mit so viel Energie, wie sie aufbringen konnten, wieder hinab. Das Wasser schäumte, die Bäume wiegten sich erwartungsvoll hin und her, der Himmel zog langsam sein blaues Kleid empor und

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