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Alles ist erleuchtet

Alles ist erleuchtet

Titel: Alles ist erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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enthüllte die Nacht.
    Und dann:
    Ich hab ihn!, rief ein Mann vom jenseitigen Ufer. Die anderen Taucher seufzten enttäuscht und schwammen auf dem Rücken zurück zum Ufer oder ließen sich auf der Stelle treiben und verfluchten das Glück des Siegers. Mein Ur-ur-ur-ur-ur-Großvater schwamm an Land und hielt dabei den goldenen Sack über den Kopf. Eine große Menschenmenge erwartete ihn. Er fiel auf die Knie und leerte den Inhalt des Sacks auf den Boden. Achtzehn Goldmünzen. Ein halber Jahreslohn.
    WIE IST DEIN NAME?, fragte der Annehmbare Rabbi.
    Ich heiße Schalom, sagte er. Ich bin aus Kolki.
    DER KOLKER IST DER SIEGER!, erklärte der Annehmbare Rabbi und verlor in all der Aufregung seine Kippa.
    Als das Sirren der Grillen die Dunkelheit herbeirief, blieb Brod auf dem Wagen, um den beginnenden Feiern zuzusehen, ohne von den Männern belästigt zu werden. Die Teilnehmer der Parade und die Einwohner des Schtetls waren bereits betrunken: Sie hatten die Arme umeinander gelegt, sie hielten einander an den Händen, sie befingerten einander, sie schmiegten die Oberschenkel aneinander und dachten dabei doch nur an Brod. Die Schnüre hingen allmählich durch (Vögel landeten darauf und drückten sie in der Mitte zu Boden, Windstöße ließen sie wie Wellen hin und her schwappen), und die Prinzessinnen mussten zum Ufer rennen, um das Gold zu sehen und sich an die männlichen Besucher zu lehnen.
    Zuerst kam Nebel, dann Regen, der so langsam fiel, dass man die Tropfen mit den Blicken verfolgen konnte. Während die Musik der Klezmergruppen sich durch die Straßen ergoss, setzten die Männer und Frauen ihren tastenden Tanz fort. Junge Mädchen fingen Glühwürmchen in Netzen aus Käsetüchern, knackten die runden Leiber und strichen sich die phosphoreszierende Masse auf die Augenlider. Jungen zerquetschten Ameisen zwischen den Fingern, ohne zu wissen, warum.
    Der Regen wurde stärker, und die Teilnehmer der Parade tranken selbst gebrannten Wodka und selbst gebrautes Bier, bis ihnen schlecht war. In den dunklen Ecken, wo Häuser aneinander stießen, und unter den tief herabhängenden Zweigen der Trauerweiden liebten sich Paare mit wilder Gier. Andere schnitten sich an den Muscheln, Zweigen und Steinen am seichten Ufer des Brod die Rücken auf. Sie zerrten aneinander im Gras: dreiste, von Lust getriebene junge Männer, verblühte Frauen, die weniger feucht waren als eine beschlagene Fensterscheibe, jungfräuliche Jungen, die sich bewegten wie blinde Jungen, Witwen, die ihre Schleier lüfteten, die Beine spreizten und flehten - aber zu wem?
    Aus dem Weltraum können Astronauten Menschen, die miteinander schlafen, als winzige Lichtpunkte sehen. Es ist eigentlich kein Licht, sondern ein Glühen, das man fälschlicherweise für Licht halten könnte - ein koitales Leuchten, das Generationen braucht, um wie Honig durch die Finsternis zum Auge des Astronauten zu kriechen.
    In etwa eineinhalb Jahrhunderten - wenn die Liebenden, die das Glühen erzeugt haben, längst für immer auf dem Rücken liegen - wird man die Metropolen aus dem Weltall erblicken können. Sie werden das ganze Jahr über leuchten. Auch kleinere Städte werden zu erkennen sein, wenn auch nur unter Schwierigkeiten. Schtetl werden praktisch unmöglich auszumachen sein, einzelne Paare werden unsichtbar sein.
    Das Leuchten ist die Summe von Tausenden von Liebesakten: frisch Verheiratete und Teenager, die kurz aufblitzen wie Feuerzeuge ohne Gas, Männerpaare, die schnell und hell brennen, Frauenpaare, die mit sanft wabernden Flammen stundenlang erstrahlen, Orgien, die jenen Funken sprühenden Blechspielzeugen vom Rummelplatz gleichen, Paare mit unerfülltem Kinderwunsch, die dem Kontinent ihre Frustration einbrennen wie ein helles Licht, das, nachdem man sich von ihm abgewandt hat, ein Nachbild im Auge hinterlässt.
    In manchen Nächten glühen manche Orte ein wenig heller. Am Valentinstag ist New York ein blendend heller Punkt, ebenso wie Dublin am St. Patricks Day. Die alte, ummauerte Stadt Jerusalem leuchtet in jeder der acht Channukka-Nächte wie eine Kerze. Und die auf den Trachimtag folgende Nacht ist die einzige des Jahres, in der man das winzige Dorf Trachimbrod vom Weltall aus erkennen kann, denn nur dann wird genug sexuelle Spannung erzeugt, um den polnischukrainischen Himmel mit Energie aufzuladen. Wir sind hier, wird das Leuchten des Jahres 1804 in eineinhalb Jahrhunderten sagen. Wir sind hier, und wir sind lebendig.
    Doch Brod hatte keinen Anteil an diesem

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