Alles ist erleuchtet
besonderen Licht und brachte ihre eigene Energie nicht in die allgemeine Spannung ein. Sie stieg vom Wagen - Regenwasser sammelte sich in den Rinnen zwischen ihren Rippen - und ging entlang der jüdisch-menschlichen Grenze nach Hause, wo der Lärm und das ausgelassene Treiben entfernter klangen. Frauen sahen sie verächtlich an, Männer gebrauchten ihre Betrunkenheit als Vorwand, um sie anzurempeln, sie im Vorbeigehen zu berühren oder ihr Gesicht so nah an Brods zu bringen, dass sie ihren Duft riechen oder sie auf die Wange küssen konnten.
Brod, du bist ein schmutziges Flussmädchen!
Willst du nicht meine Hand halten, Brod?
Dein Vater ist ein schändlicher Mensch, Brod.
Na komm, was ist schon dabei? Nur ein kleiner Lustschrei! Sie ignorierte sie alle. Sie ignorierte sie, wenn sie vor ihr ausspuckten oder sie in den Hintern kniffen. Sie ignorierte sie, wenn sie sie verfluchten und sie küssten und sie mit Küssen verfluchten. Sie ignorierte sie selbst dann, wenn sie eine Frau aus ihr machten, sie ignorierte sie, wie sie gelernt hatte, alles in einer Welt zu ignorieren, die keine Welt zweiten Grades war.
Jankel!, rief sie, als sie die Tür öffnete. Jankel, ich bin wieder da. Lass uns das Fest vom Dach aus ansehen und Ananas mit den Fingern essen!
Mit den winzigen Schritten eines Mannes, der sechsmal so alt war wie sie, ging sie durch das Wohnzimmer. Sie ging durch die Küche und zog dabei das Meerjungfrauen-Gewand aus. Sie ging durch das Schlafzimmer und suchte ihren Vater. Das Haus war erfüllt von einem Geruch nach Nässe und Verfall, als hätte man ein Fenster offen gelassen, um alle Geister Osteuropas hereinzubitten. Es war jedoch nur der Geruch des Wassers, das durch die Spalten zwischen den Schindeln eingedrungen war wie Luft zwischen den Zähnen eines geschlossenen Mundes. Und der Geruch des Todes.
Jankel!, rief sie, zog die dünnen Beine aus dem Schwanz der Meerjungfrau und enthüllte das stark gelockte Schamhaar. Es war noch so neu, dass es ein scharf umrissenes Dreieck bildete.
Draußen: Auf dem Heu in Scheunen verschlossen Lippen andere Lippen, Finger strichen über Oberschenkel und Lippen und Ohren und Kniekehlen, auf Decken, auf Rasenflächen vor fremden Häusern, und alle dachten an Brod, alle dachten nur an Brod.
Papa? Bist du zu Hause?, rief sie und ging nackt von Raum zu Raum. Ihre Brustwarzen waren dunkelrot und hart von der Kälte, sie war blass und hatte eine Gänsehaut, und an ihren Wimpern hingen Regentropfenperlen.
Draußen: Schwielige Hände kneteten Brüste. Zahlreiche Knöpfe wurden geöffnet. Aus Sätzen wurden Worte wurde Seufzen wurde Stöhnen wurde Ächzen wurde Licht.
Jankel? Du hast gesagt, wir könnten vom Dach aus zusehen.
Sie fand ihn in der Bibliothek. Er war jedoch nicht, die Flügel eines halb gelesenen Buches auf der Brust ausgebreitet, in seinem Lieblingssessel eingeschlafen, wie sie vermutet hatte. Er lag auf dem Boden, zusammengekrümmt wie ein ungeborenes Kind, und hielt ein zusammengeknülltes Stück Papier umklammert. Im Übrigen war der Raum vollkommen aufgeräumt. Er hatte versucht, kein Durcheinander zu machen, als er die erste Hitzewelle auf der Kopfhaut gespürt hatte. Es war ihm peinlich gewesen, als die Beine unter ihm nachgegeben hatten, er hatte sich geschämt, als ihm bewusst geworden war, dass er auf dem Boden sterben würde, mutterseelenallein mit der Größe seines Kummers, als er begriff, dass er sterben würde, bevor er Brod sagen konnte, wie schön sie heute sei und dass sie ein gutes Herz habe (was mehr wert sei als ein guter Kopf) und dass er nicht ihr wirklicher Vater sei, sich aber bei jedem Segensspruch, an jedem Tag, in jeder Nacht seines Lebens gewünscht habe, es zu sein; bevor er ihr davon erzählen konnte, dass es sein Traum sei, ewig mit ihr zu leben, mit ihr zu sterben oder nie zu sterben. Er war mit dem zusammengeknüllten Stück Papier in der einen und der Abakusperle in der anderen Hand gestorben.
Das Wasser sickerte durch die Schindeln, als wäre das Haus eine unterirdische Höhle. Jankels Lippenstift-Biografie blätterte von der Decke seines Schlafzimmers und fiel sanft wie blutgetränkter Schnee auf Bett und Boden. Du bist Jankel... Du liebst Brod... Du bist ein Wankler... Du warst verheiratet, aber sie hat dich verlassen... Du glaubst nicht an ein Leben nach dem Tod... Brod fürchtete, jede Träne von ihr könnte die Wände des Hauses einstürzen lassen, und so errichtete sie einen Damm aus Sandsäcken hinter ihren Augen und
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