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Alles ist erleuchtet

Alles ist erleuchtet

Titel: Alles ist erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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seinen Schoß. Ich bringe ihn um.
    Sie gab ihm mit dem kleinen Finger einen Nasenstüber. Du, Dummkopf.
    Oh, nein. Soll das heißen, dass ich mich selbst umbringen muss?
    Ja, das soll es wohl.
    Könnte ich nicht ein bisschen weniger hübsch sein? Wenn das heißt, dass mir dadurch der Tod von eigener Hand erspart bleibt? Könnte ich nicht ein kleines bisschen hässlich sein?
    Na gut. Sie lachte. Ich glaube, deine Nase ist etwas schief. Und bei genauem Hinsehen ist dieses Lächeln alles andere als hübsch.
    Er lachte. Jetzt bringst du mich um.
    Besser, als wenn du dich selbst umbringen würdest.
    Da hast du wohl recht. So brauche ich mich nachher nicht schuldig zufühlen.
    Ich erweise dir einen großen Dienst.
    Vielen Dank, Liebes. Wie kann ich dir je dafür danken?
    Du bist tot. Du kannst gar nichts.
    Ich werde zurückkommen, um dir diesen einen Gefallen zu erweisen. Sag mir, welcher es sein soll.
    Tja, dann werde ich dich wohl bitten müssen, mich zu töten. Damit mir die Schuldgefühle erspart bleiben.
    Betrachte es als erledigt.
    Haben wir nicht ein Riesenglück, dass wir einander haben?
    Nachdem der Sohn des Sohnes von Bitzl Bitzl ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte - Es tut mir wirklich Leid, aberjan-kel findet, ich sollte noch warten -, zog sie am dreizehnten Tra-chimtag ihr Festkönigin-Kostüm an. Jankel hatte die Frauen über seine Tochter sprechen hören (er war ja nicht taub), und er hatte die Männer nach ihr grapschen sehen (er war ja nicht blind), doch als er ihr in das Meerjungfrauen-Gewand half und die Träger über ihre knochigen Schultern schob, schien ihm alles andere ganz einfach (er war ja auch nur ein Mensch).
    Du brauchst dich nicht herauszuputzen, wenn du nicht willst, sagte er und zog ihr die langen Ärmel des MeerjungfrauenGewands, das sie in jedem der vergangenen acht Jahre hatte ändern müssen, über die schlanken Arme. Du musst schließlich nicht die Festkönigin sein.
    Aber natürlich muss ich das, sagte sie. Ich bin das schönste Mädchen in Trachimbrod.
    Ich denke, du willst gar nicht schön sein.
    Will ich auch nicht, sagte sie. Das ist eine solche Bürde. Aber was kann ich schon tun? Es ist wie ein Fluch.
    Aber du brauchst das nicht zu tun, sagte er und schob die Perle unter das Kostüm. Sie hätten dieses Jahr ein anderes Mädchen nehmen können. Du hättest einer anderen eine Chance geben können.
    Das sähe mir nicht ähnlich.
    Aber du könntest es trotzdem tun.
    Nein.
    Aber wir waren uns doch einig, dass Zeremonien und Rituale albern sind.
    Aber wir waren uns auch einig, dass sie nur für Außenstehende albern sind. Und bei diesem Ritual stehe ich im Mittelpunkt.
    Ich befehle dir, nicht hinzugehen, sagte er und wusste, dass es nicht funktionieren würde.
    Und ich befehle dir, mir keine Befehle zu geben, sagte sie.
    Mein Befehl hat Vorrang.
    Warum?
    Weil ich älter bin.
    Das sind die Worte eines Dummkopfs.
    Dann eben, weil ich zuerst befohlen habe.
    Da redet immer noch ein Dummkopf.
    Aber du magst es nicht einmal, sagte er. Danach beklagst du dich jedes Mal.
    Ich weiß, sagte sie und rückte den Schwanz zurecht, der dicht mit blauen Pailletten besetzt war.
    Warum dann also?
    Denkst du gern an Mama?
    Nein.
    Tut es danach weh?
    Ja.
    Warum tust du es dann immer wieder?, fragte sie. Und warum, fragte sie sich und dachte an die Schilderung ihrer Vergewaltigung, streben wir immer wieder danach?
    Jankel verlor sich in Gedanken und versuchte mehrmals, einen Satz zu beginnen.
    Wenn dir eine zufrieden stellende Antwort eingefallen ist, werde ich dem Thron entsagen. Sie küsste ihn auf die Stirn, trat aus dem Haus und ging zu dem Fluss, dessen Namen sie trug.
    Er stand am Fenster und wartete.
    An jenem Nachmittag im Frühling des Jahres 1804 waren Baldachine aus dünner weißer Schnur über die schmalen, kopfsteingepflasterten Lebensadern von Trachimbrod gespannt, wie seit dreizehn Jahren an jedem Trachimtag. Das war die Idee des guten Gefilte-Fisch-Händlers Bitzl Bitzl R. gewesen, der damit an das erste Stück Treibgut aus dem Wagen erinnern wollte, das an die Wasseroberfläche gekommen war. Ein Ende der weißen Schnur war an der halb leeren Flasche alten Wermuths auf dem Boden der windschiefen Hütte des Trunkenbolds Omeler S. befestigt, das andere an dem angelaufenen silbernen Kerzenleuchter auf dem Esstisch im großen, über vier Schlafzimmer verfugenden Backsteinhaus des Annehmbaren Rabbis jenseits der matschigen Scheuster Straße; die dünne weiße Schnur verband wie eine

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