Alles ist erleuchtet
mittleren Zeh des linken Fußes. Er war nicht imstande zu pinkeln, wenn ihn jemand hören konnte. Er fand Gurken ganz gut, eingelegte Gurken dagegen absolut köstlich - so köstlich, dass er den Verdacht hatte, es seien gar keine Gurken, weil die ja nur ganz gut waren. Von Shakespeare hatte er noch nie etwas gehört, aber Hamlet kam ihm bekannt vor. Wenn sie miteinander schliefen, nahm er sie gern von hinten. Das, fand er, war so schön wie nur etwas. Abgesehen von seiner Mutter und ihr hatte er nie jemanden geküsst. Nach dem goldenen Sack hatte er nur getaucht, um sie zu beeindrucken. Manchmal sah er stundenlang in den Spiegel, schnitt Fratzen, spannte Muskeln an, zwinkerte, lächelte, spitzte die Lippen. Er hatte noch nie einen anderen Mann nackt gesehen und wusste daher nicht, ob sein Körper normal war. Das Wort »Schmetterling« ließ ihn erröten, obgleich er nicht wusste, warum. Er hatte die Ukraine noch nie verlassen. Früher hatte er gedacht, die Erde sei das Zentrum des Universums, doch dann hatte er sich belehren lassen. Er bewunderte Zauberer noch mehr, wenn er die Geheimnisse ihrer Tricks enträtselt hatte.
Du bist ein so liebenswerter Ehemann, sagte sie, wenn er ihr Geschenke brachte.
Ich will nur gut zu dir sein.
Ich weiß, sagte sie. Das bist du auch.
Aber es gibt so vieles, das ich dir nicht geben kann.
Aber es gibt so vieles, das du mir geben kannst.
Ich bin kein kluger Mann -
Hör auf, sagte sie. Hör einfach auf. Klug war das Letzte, was der Kolker sein sollte. Das würde alles verderben, das wusste sie. Sie wollte nichts weiter als jemanden, nach dem sie sich sehnen konnte, den sie berühren konnte, mit dem sie sprechen konnte wie mit einem Kind, bei dem sie ein Kind sein konnte. Und dafür war er sehr gut. Und sie liebte ihn.
Ich bin diejenige, die nicht klug ist, sagte sie.
Das ist das Dümmste, was ich je gehört habe, Brod.
Genau, sagte sie, legte den Arm um ihn und schmiegte ihr Gesicht an seine Brust.
Brod, ich will ein vernünftiges Gespräch mit dir führen. Manchmal habe ich das Gefühl, dass alles, was ich sagen will, falsch herauskommt.
Und was tust du dann?
Ich sage es nicht.
Na, das ist doch sehr klug, sagte sie und spielte mit der schlaffen Haut unter seinem Kinn.
Brod, sagte er und wich ein Stück zurück, du nimmst mich nicht ernst. Sie schmiegte sich noch dichter an ihn und schloss die Augen wie eine Katze. Ich habe eine Liste gemacht, sagte er und ließ die Arme sinken.
Wie schön, Schatz.
Willst du nicht wissen, was für eine Liste es ist?
Ich dachte, du würdest es mir sagen, wenn du wolltest, dass ich es weiß. Und als du es mir nicht gesagt hast, habe ich angenommen, dass es mich nichts angeht. Soll ich dich danach fragen?
Ja, frag mich.
Na gut. Was für eine Liste hältst du denn so geheim?
Ich habe aufgeschrieben, wie viele Gespräche wir geführt haben, seit wir verheiratet sind. Willst du raten, wie viele es waren?
Ist das wirklich nötig?
Wir haben nur sechs Gespräche geführt, Brod. Sechs Gespräche in drei Jahren.
Rechnest du dieses Gespräch auch dazu?
Du nimmst mich nie ernst.
Natürlich nehme ich dich ernst.
Nein, du machst dich immer lustig oder du beendest das Gespräch, bevor wir überhaupt etwas gesagt haben.
Das tut mir Leid. Das ist mir noch nie aufgefallen. Aber müssen wir das wirklich ausgerechnet jetzt tun? Wir reden doch die ganze Zeit.
Ich meine aber nicht reden, Brod. Ich meine Gespräche. Ich meine etwas, das länger dauert als fünf Minuten.
Hab ich dich recht verstanden? Du redest nicht vom Reden? Du willst, dass wir über Gespräche sprechen? Meinst du das?
Wir hatten sechs Gespräche. Ich weiß, das ist jämmerlich, aber ich habe sie gezählt. Alles andere waren wertlose Worte. Wir reden über Gurken und darüber, dass ich eingelegte Gurken lieber mag. Wir reden darüber, dass ich rot werde, wenn ich dieses Wort höre. Wir reden über die trauernde Schanda und Pinchas, wir reden darüber, dass man blaue Flecken manchmal erst nach ein, zwei Tagen sieht. Reden, reden, reden. Gurken, Schmetterlinge, blaue Flecken. Das ist nichts.
Und was ist dann etwas? Willst du ein bisschen über Krieg sprechen? Vielleicht könnten wir über Literatur sprechen. Sag mir einfach, was für dich ein Thema ist, und wir können darüber sprechen. Vielleicht Gott? Dann könnten wir über Ihn sprechen.
Jetzt tust du es wieder.
Was tue ich wieder?
Du nimmst mich nicht ernst.
Das musst du dir eben erst verdienen.
Ich bemühe mich
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