Alles ist erleuchtet
gefühllos war (nach drei Jahren Ehe nur zwei Kinder!) und nicht tüchtig genug, um einen ordentlichen Haushalt zu fuhren.
Wer so herumhüpft wie sie, hat blaue Augen verdient!
Habt ihr gesehen, wie verwildert ihr Garten ist? Was für ein
Schweinestall!
Da sieht man wieder mal, dass es eben doch eine Gerechtigkeit gibt!
Der Kolker hasste sich - oder vielmehr sein anderes Ich -dafür. Er ging nachts im Schlafzimmer auf und ab, stritt mit seinem anderen Ich und schrie dabei aus Leibeskräften, und oft schlug er sich dabei an die Brust, welche die zwei Lungenflügel beherbergte, die seine Ichs sich teilten, oder gab ihnen Ohrfeigen. Nachdem er Brod bei nächtlichen Ausbrüchen mehrmals ernstlich verletzt hatte, beschloss er (gegen ihren Willen), dass der Arzt mit der gebrochenen Nase Recht gehabt hatte: Sie mussten getrennt schlafen.
Das lasse ich nicht zu.
Es gibt dazu nichts mehr zu sagen.
Dann verlass mich. Das wäre mir lieber als getrennte Schlafzimmer. Oder töte mich. Das wäre noch besser, als mich zu verlassen.
Sei nicht albern, Brod. Ich werde nur in einem anderen Zimmer schlafen.
Aber die Liebe ist ein Zimmer, sagte sie. Genau das ist sie.
Wir müssen das tun.
Wir müssen das nicht tun.
Doch.
Ein paar Monate lang ging es gut. Sie schafften es, ein geregeltes Leben mit nur gelegentlichen Gewaltausbrüchen zu fuhren, und verabschiedeten sich abends voneinander, um sich auszuziehen und zu Bett zu gehen. Am nächsten Morgen erzählten sie einander bei Brot und Kaffee ihre Träume und beschrieben, wie es ihnen in ihrer Rastlosigkeit erging. Es war eine Gelegenheit, die sich ihnen wegen ihrer übereilten Heirat zuvor nie geboten hatte: Sie konnten zurückhaltend und langsam sein, sie konnten einander aus einer gewissen Distanz entdecken. Sie hatten ihr siebtes, achtes und neuntes Gespräch. Der Kolker versuchte in Worte zu fassen, was er sagen wollte, und es kam immer falsch heraus. Und Brod liebte ihn, und das gab ihrem Leben einen Sinn.
Sein Zustand verschlechterte sich. Mit der Zeit konnte Brod damit rechnen, jeden Morgen, bevor der Kolker zur Arbeit ging -zur Verblüffung aller Ärzte gelang es ihm dort, sich aller Gewalttätigkeiten zu enthalten - , nach Strich und Faden verprügelt zu werden, und am späten Nachmittag, vor dem Abendessen, war es nicht anders. Er schlug sie in der Küche vor den Töpfen und Pfannen, er schlug sie im Wohnzimmer vor ihren zwei Kindern, und er schlug sie in der Beiküche vor dem Spiegel, in dem sie beide zusahen. Brod rannte nie vor seinen Fäusten davon; sie erwartete sie vielmehr, sie ging ihnen entgegen, denn sie war sicher, dass die blauen Flecke nicht von Gewalt zeugten, sondern von heftiger Liebe. Der Kolker war in seinem Körper gefangen - wie ein Liebesbrief in einer unzerbrechlichen Flasche, dessen Schrift nie verblasst oder verschmiert und den die Augen des geliebten Menschen, für den er bestimmt ist, nie zu sehen bekommen -, und er war gezwungen, der Frau wehzutun, die er sanfter behandeln wollte als jede andere.
Selbst als es auf das Ende zuging, gab es Zeiten, in denen der Kolker bei klarem Verstand war, und sie dauerten manchmal mehrere Tage lang.
Ich habe etwas für dich, sagte er und führte Brod an der Hand aus der Küche und in den Garten.
Was ist es?, fragte sie und machte keine Anstalten, einen sicheren Abstand einzuhalten. (So etwas wie einen sicheren Abstand gab es nicht. Es war alles entweder zu nah oder zu weit entfernt.)
Zu deinem Geburtstag. Ich habe ein Geschenk für dich.
Ich habe Geburtstag?
Du hast Geburtstag.
Dann bin ich jetzt siebzehn.
Achtzehn.
Was ist die Überraschung?
Wenn ich es sagen würde, wäre es keine Überraschung mehr.
Ich hasse Überraschungen, sagte sie.
Aber ich mag sie.
Für wen ist das Geschenk? Für mich oder für dich?
Das Geschenk ist für dich, sagte er. Die Überraschung ist für mich.
Und wenn ich dich überraschen und sagen würde, du sollst das Geschenk behalten? Dann wäre die Überraschung für mich und das Geschenk für dich.
Aber du hasst doch Überraschungen.
Ich weiß. Also gib mir schon das Geschenk.
Er gab ihr ein kleines Päckchen. Es war in blaues Pergamentpapier gewickelt, mit einem hellblauen Seidenband umwunden.
Was ist das?, fragte sie.
Das hatten wir schon, sagte er. Das ist dein Überraschungsgeschenk. Mach es auf.
Nein, sagte sie und zeigte auf die Verpackung, nicht das.
Wie meinst du das' 1 Das ist nur die Verpackung Sie legte das Packchen beiseite und begann zu
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