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Alles ist erleuchtet

Alles ist erleuchtet

Titel: Alles ist erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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eingestimmt hat und immer noch melancholisch einstimmt. Ich war auch sehr verrührt - sagt man das so? -von dem, was du darüber geschrieben hast, wie unmöglich es für deine Großmutter gewesen sein muss, eine Mutter ohne Mann zu sein. Es ist zum Wundern, wie dein Großvater so viel überlebt hat, nur um zu sterben, als er nach Amerika kam, nicht? Es ist, als ob er, nachdem er so viel überlebt hatte, keinen Grund mehr gehabt hätte, noch mehr zu überleben. Als du mir über den frühen Tod von deinem Großvater geschrieben hast, habe ich in einer gewissen Weise verstanden, welche Melancholie Großvater fühlt, seit Großmutter gestorben ist, und nicht nur, weil beide an Krebs gestorben sind. Ich kenne deine Mutter natürlich nicht, aber ich kenne dich, und ich kann dir sagen, dass dein Großvater sehr stolz gewesen wäre. Es ist meine Hoffnung, dass ich ein Mensch sein werde, auf den Großmutter sehr stolz gewesen wäre.
    Und jetzt zu der Frage, ob du deine Großmutter von deiner Reise informieren musst, und da gibt es keine Frage, dass du das tun musst, sogar wenn sie das weinen lässt. Es ist wirklich etwas Abnormes, wenn man seine Großeltern weinen sieht. Ich habe dir gesagt, wie ich Großvater weinen sah, und ich beschwöre mich zu sagen, dass ich sehne, ihn nie wieder weinen zu sehen. Wenn das heißt, dass ich Dinge tun muss, damit er nicht weint, werde ich diese Dinge tun. Wenn das heißt, dass ich nicht hinsehen darf, wenn er weint, dann sehe ich nicht hin. Du bist in dieser Sache sehr anders als ich. Ich glaube, dass du deine Großmutter weinen sehen musst, und wenn das heißt, dass du Dinge tun musst, damit sie weint, dann musst du sie tun, und wenn es heißt, dass du hinsehen musst, wenn sie weint, dann musst du hinsehen.
    Deine Großmutter wird eine Weise finden, zufrieden mit dem zu sein, was du getan hast, als du in die Ukraine gefahren bist. Ich bin sicher, dass sie dir vergeben wird, wenn du sie informierst. Aber wenn du sie nie informierst, kann sie dir nie vergeben. Und das ist doch, was du sehnst, nicht? Dass sie dir vergibt? Ist das nicht der Grund, warum du das alles getan hast? Ein Teil von deinem Brief hat mich am meisten melancholisch eingestimmt. Es war der Teil, wo du gesagt hast, dass du niemanden kennst und dass das auch für dich selbst stimmt. Ich verstehe sehr, was du da sagst. Kannst du dich erinnern an den Teil, den ich dir geschrieben habe und wo Großvater gesagt hat, dass ich wie eine Mischung aus Vater, Mutter, Breschnew und mir selbst aussah? Daran musste ich mich erinnern, als ich gelesen habe, was du geschrieben hast. (Mit unserem Schreiben erinnern wir uns gegenteilig an Dinge. Wir machen zusammen eine Geschichte, nicht?) Ich muss dich jetzt von etwas informieren. Es ist etwas, von dem ich noch niemals jemand informiert habe, und du musst versprechen, dass du niemals eine lebendige Seele davon informieren wirst. Ich bin niemals mit einem Mädchen fleischlich gewesen. Ich weiß. Ich weiß. Du kannst das nicht glauben, aber alle die Geschichten, die ich dir erzählt habe, von den Mädchen, die mich »Ganze Nacht« oder »Geld« nennen, waren NichtWahrheiten, und es waren keine anständigen Nicht-Wahrheiten. Ich glaube, ich mache diese Nicht-Wahrheiten, weil ich mich dann wie ein erstklassiger Mensch fühle. Vater fragt mich sehr oft nach Mädchen und mit welchen Mädchen ich fleischlich bin und in welchen Stellungen wir fleischlich sind. Er lacht gern mit mir darüber, besonders verspätet in der Nacht, wenn er voll mit Wodka ist. Ich weiß, dass er sehr zu Boden geschlagen wäre, wenn er wüsste, wie ich in Wirklichkeit bin.
    Aber außerdem mache ich auch Nicht-Wahrheiten für Klein-Igor. Ich sehne, dass er fühlt, dass er einen coolen Bruder hat und einen Bruder, dessen Leben er irgendwann nachmachen will. Ich will, dass Klein-Igor bei seinen Freunden mit seinem Bruder angeben kann und in öffentlichen Orten mit ihm gesehen werden will. Ich glaube, darum genieße ich so, dir zu schreiben. Das macht es möglich, dass ich nicht so bin, wie ich bin, sondern so, wie ich will, dass Klein-Igor mich sieht. Ich kann komisch sein, weil ich Zeit habe, zu meditieren, wie ich komisch sein kann, und ich kann meine Fehler reparieren, wenn ich Fehler mache, und ich kann ein melancholischer Mensch sein auf eine Weise, die interessant ist und nicht nur melancholisch. Wenn wir schreiben, haben wir zweite Gelegenheiten. Du hast am ersten Abend unserer Reise erwähnt, dass du vielleicht

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