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Alles ist erleuchtet

Alles ist erleuchtet

Titel: Alles ist erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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Und ich, ich konnte die Augen nicht von ihr wegnehmen. Sie hatte dünne Finger und hohe Knochen. Ihre Haare waren, wie ich schon gesagt habe, lang und weiß. Die Enden bewegten sich über den Boden und nahmen Staub und Schmutz mit. Es war hart, ihre Augen zu beobachten, weil sie so weit hinten im Gesicht waren, aber wenn sie mich ansah, konnte ich sehen, dass sie blau und lichtvoll waren. Es waren ihre Augen, die mich verstehen ließen, dass sie ohne jede Frage die Augustine auf dem Foto war. Und wenn ich in ihre Augen sah, war ich sicher, dass sie den Großvater des Helden und wahrscheinlich viele andere Menschen gerettet hatte. Ich konnte mir im Kopf vorstellen, wie die Tage das Mädchen auf dem Foto mit der Frau in diesem Zimmer verbanden. Jeder Tag war wie ein neues Foto. Ihr Leben war ein Buch voller Fotos. Eins war mit dem Großvater des Helden, und jetzt war eins mit uns.
    Als das Essen nach vielen Minuten Kochen fertig war, transportierte sie es auf Tellern zum Tisch, einen Teller für jeden von uns und keinen Teller für sie. Eine der Kartoffeln erreichte - BUNK! - den Boden, was uns lachen ließ, aus Be-gründigungen, die ein feingefühliger Schriftsteller nicht erleuchten muss. Aber Augustine lachte nicht. Sie war wohl sehr schamvoll, denn sie versteckte ihr Gesicht sehr lange, bevor sie uns wieder ansehen konnte. »Geht es Ihnen gut?«, fragte Großvater. Sie gab keine Antwort. »Geht es Ihnen gut?« Und plötzlich kehrte sie zu uns zurück. »Ihr müsst sehr erschöpft von eurer Reise sein«, sagte sie. »Ja«, sagte er, und er verdrehte den Kopf, als ob er verlegt wäre, aber ich weiß nicht, warum er verlegt war. »Ich könnte zum Markt gehen und kalte Getränke kaufen«, sagte sie, »wenn ihr Cola oder etwas anderes wollt.« »Nein«, sagte Großvater mit Stärke, als könnte sie von uns gehen und nie zurückkommen. »Das ist nicht nötig. Sie sind so großzügig. Bitte setzen Sie sich.« Er zog einen der hölzernen Stühle von dem Tisch und stieß mit Versehen ein bisschen gegen eine Schachtel, auf der meno-ras/tinte/schlüssel stand. »Danke«, sagte sie und senkte den Kopf. »Sie sind sehr schön«, sagte Großvater, und ich hatte nicht gedacht, dass er das sagen würde, und ich glaube, er hatte auch nicht gedacht, dass er es sagen würde. Für einen Moment war Stille. »Danke«, sagte sie und bewegte ihre Augen von ihm weg. »Du bist der, der großzügig ist.« »Aber Sie sind wirklich schön«, sagte er. »Nein«, sagte sie, »nein, so bin ich nicht.« »Ich glaube aber, dass Sie schön sind«, sagte ich, und obwohl ich nicht gedacht hatte, dass ich das sagen würde, klage ich nicht darüber. Sie war so schön, sie war wie jemand, den man nie treffen wird, von dem man aber immer träumt, dass man ihn treffen wird, wie jemand, der zu gut für einen ist. Sie war auch sehr schüchtern, das merkte ich. Es war hart für sie, uns zu sehen, und sie versteckte die Hände in den Taschen ihres Kleides. Ich kann Ihnen sagen: Jedes Mal, wenn sie uns einen Blick gab, gab sie ihn nicht uns, sondern nur mir.
    »Worüber redet ihr?«, fragte der Held. »Hat sie was von meinem Großvater gesagt?« »Er spricht kein Ukrainisch oder Russisch?«, fragte sie. »Nein«, sagte ich. »Woher kommt er?« »Aus Amerika.« »Ist das in Polen?« Ich konnte das nicht glauben, dass sie Amerika nicht kannte, und ich kann Ihnen sagen, dass es sie für mich sogar noch schöner machte. »Nein, das ist weit weg von hier. Er ist mit einem Flugzeug gekommen.« »Einem was?« »Einem Flugzeug«, sagte ich. »Durch den Himmel.« Ich bewegte meine Hände durch die Luft wie ein Flugzeug und stieß mit Versehen ein bisschen gegen eine Schachtel, auf der ZAHNFÜLLUNGEN stand. Ich machte mit den Lippen das Geräusch eines Flugzeugs. Das machte sie verstört. »Nicht mehr«, sagte sie. »Was?« »Bitte«, sagte sie. »Vom Krieg?«, fragte Großvater. Sie sagte gar nichts. »Er ist gekommen, um Sie zu sehen«, sagte ich. »Er ist für Sie aus Amerika gekommen.« »Ich dachte, das wärst du«, sagte sie. »Ich dachte, du wärst derjenige.« Das ließ mich lachen und Großvater auch. »Nein«, sagte ich, »er ist derjenige.« Ich legte die Hand auf den Kopf des Helden. »Er ist derjenige, der durch die ganze Welt gereist ist, um Sie zu finden.« Das brachte sie dazu, dass sie wieder weinte, was ich gar nicht gewollt hatte. Ich muss aber sagen, dass es anständig war. »Du bist für mich gekommen?«, sagte sie zu dem Helden. »Sie will wissen,

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