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Alles ist erleuchtet

Alles ist erleuchtet

Titel: Alles ist erleuchtet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Safran Foer
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beiden unteren Etagen waren de Decken höher gelegt worden, mit dem Ergebnis, dass die Zimmer im zweiten Stock nur für Kinder und Zwerge bewohnbar waren. Anstelle der brillenlosen, aus Backsteinen gemauerten Sitze, die der Rest des Schtetls benutzte, hatte man in den Aborthäuschen Porzellantoiletten installiert. Der durchaus schöne Garten war umgegraben worden; stattdessen befand sich dort nun ein Kiesweg, gesäumt von Azaleen, die so stark gestutzt waren, dass sie nicht blühten. Doch Menachems größter Stolz war das Gerüst: Es war das Symbol dafür, dass sich alles veränderte, dass alles immer besser wurde. Er liebte das wachsende Skelett aus provisorischen Trägern und Brettern, er liebte es mehr als das Haus selbst und überredete den widerstrebenden Architekten schließlich, es in die Pläne einzuzeichnen. Auch die Arbeiter wurden in die Pläne eingezeichnet. Es waren eigentlich keine Arbeiter, sondern örtliche Schauspieler, die bezahlt wurden, damit sie wie Arbeiter aussahen, auf den Planken des Gerüstes umhergingen, überflüssige Nägel in überflüssige Wände schlugen, diese Nägel wieder herauszogen und sich prüfend über Pläne beugten. (Diese Pläne wurden übrigens auch in die Pläne eingezeichnet, und darauf waren Pläne zu sehen, auf denen man Pläne erkennen konnte, die ihrerseits Pläne enthielten...) Menachems Problem war, dass er mehr Geld besaß, als es Dinge gab, die er hätte kaufen können. Menachems Lösung dafür war, dass er nicht immer mehr Dinge anschaffte, sondern fortfuhr, die Dinge zu kaufen, die er bereits besaß - wie ein Mann auf einer einsamen Insel, der sich den einzigen Witz, an den er sich erinnern kann, immer wieder und mit immer größeren Ausschmückungen erzählt. Er hatte den Traum, das Doppelhaus möge eine Art Unendlichkeit sein, immer nur ein Bruchteil seiner selbst - und daher an eine bodenlose Goldgrube gemahnend - , immer nach Vollendung strebend, ohne sie aber jemals zu erreichen. Herrlich, Tova, herrlich - beinahe alles! Was für ein Haus! Und wie es aussieht, hast du im Gesicht ein bisschen abgenommen. Großartig! Jeder sollte neidisch auf euch sein.
    Die Hochzeit - oder vielmehr die Hochzeitsfeier - war das Ereignis des Jahres 1941, und die Gäste waren so zahlreich, dass, wäre das Haus niedergebrannt oder hätte die Erde es verschlungen, die gesamte jüdische Bevölkerung von Trachimbrod ausgelöscht worden wäre. Lange vor der eigentlichen Einladung, die eine Woche vor dem offiziellen Fest verschickt wurde, verschickte man eine Erinnerung:
    NICHT vergessen: DIE HEIRAT DER TOCHTER VON TOVA
    UND IHREM MANN*
    FINDET AM
    18 .JUNI 1941
    STATT.
    DER ORT DER FESTLICHKEITEN IST JEDERMANN BEKANNT.
    'Menachem
    Und niemand vergaß es. Nur die wenigen Trachimbroder, die Tova nicht für würdig erachtete, eine Einladung zu erhalten, waren bei der Hochzeitsfeier nicht zugegen; daher standen ihre Namen nicht im Gästebuch, daher erschienen sie auch nicht im letzten inoffiziellen Einwohnerverzeichnis, und daher fielen sie für immer der Vergessenheit anheim.
    Als die Gäste nach und nach eintrafen und gar nicht anders konnten, als die stilisierten Wandtäfelungen zu bewundern, entschuldigte sich mein Großvater und ging hinunter in den Keller mit den Weinregalen, um den traditionellen Hochzeitsanzug aus- und einen leichten Baumwollblazer anzuziehen, denn es war schwül.
    Absolut entzückend, Tova. Sieh mich an - ich bin entzückt!
    Es sieht absolut unvergleichlich aus.
    Ihr müsst ja ein Vermögen für diesen herrlichen Blumenschmuck
    ausgegeben haben. Hatschi!
    Wie außergewöhnlich!
    In der Ferne ein leises Donnergeprassel, und bevor man eines der neuen Fenster oder auch nur einen der neuen Vorhänge schließen konnte, fuhr ein Windstoß von beängstigender Kraft und Geschwindigkeit durch das Haus, warf den Blumenschmuck um und wirbelte die Tischkarten durch die Luft. Allgemeines Tohuwabohu. Die Katze schrie, das Wasser kochte brodelnd, die älteren Frauen hielten die geflochtenen Hüte fest, die ihr schütteres Haar bedeckten. Der Windstoß verschwand ebenso schnell, wie er gekommen war, und ließ dabei die Tischkarten wieder auf die Tische fallen, allerdings keine an ihren ursprünglichen Platz: Libby saß jetzt neben Kerman (der sein Kommen davon abhängig gemacht hatte, dass zwischen ihm und dieser grässlichen Schlampe drei Tische lagen), Tova am unteren Ende des letzten Tisches (an einem Platz, den man für den Fischhändler reserviert hatte, einen Mann, an

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