Alles ist erleuchtet
damit?« »An sie. An sie und dich.« »Warum bist du so neugierig?« »Warum bist du so schamvoll?« »Ich erinnere mich an die Krampfadern und an den Geruch von meinem geheimen Versteck, und das war es für mich damals, mein Geheimnis, das weiß ich noch, und ich erinnere mich, dass meine Großmutter mir einmal gesagt hat, dass ich Glück habe, weil ich komisch bin.« »Du bist auch sehr komisch, Jonathan.« »Nein. Das ist das Letzte, was ich sein will.« »Warum? Es ist großartig, komisch zu sein.« »Nein, ist es nicht.« »Warum?« »Ich dachte früher, dass Humor die einzige Möglichkeit ist zu verstehen, wie wunderbar und schrecklich die Welt ist, und zu feiern, wie groß das Leben ist. Weißt du, was ich meine?« »Ja, natürlich.« »Aber jetzt denke ich, dass es umgekehrt ist. Humor ist eine Möglichkeit, sich von der wunderbaren und schrecklichen Welt zurückzuziehen.« »Informiere mich mehr darüber, wie es war, als du jung warst, Jonathan.« Er gab noch mehr Lachen. »Warum lachst du?« Er lachte wieder. »Informiere mich.« »Als ich ein Junge war, schlief ich freitags bei meiner Großmutter. Nicht jeden Freitag, aber fast jeden. Wenn ich kam, hob sie mich mit einer ihrer wunderbaren, schrecklichen Umarmungen hoch. Und wenn ich am nächsten Nachmittag wieder ging, wurde ich wieder liebevoll hochgehoben. Ich habe gelacht, weil ich erst Jahre später begriff, dass sie mich gewogen hatte.« »Gewogen?« »Als sie in unserem Alter war, ging sie barfuß durch Europa und lebte von Abfallen. Es war wichtig für sie - viel wichtiger als die Frage, ob ich mich bei ihr gut fühlte - , dass ich jedes Mal, wenn ich bei ihr war, zugenommen hatte. Ich glaube, sie wollte die dicksten Enkel der Welt haben.« »Erzähl mir mehr von den Freitagen. Erzähl mir von Wiegen und Humor und dem Versteck unter ihrem Kleid.« »Ich glaube, ich habe genug erzählt.« »Du musst erzählen.« Habe ich dir Leid getan? Hast du darum fortgefahren? »Wenn ich bei ihr war, schrien meine Großmutter und ich nachts Worte von der Hinterveranda. Das ist noch etwas, an das ich mich erinnere. Wir schrien die längsten Worte, die uns einfielen. Ich schrie: >Phantasmagoriel<« Er lachte. »An das Wort kann ich mich noch erinnern. Und dann schrie sie ein jiddisches Wort, das ich nicht verstand. Und dann schrie ich: >Vorsintflutlich! <« Er schrie das Wort auf die Straße, und das wäre schamvoll gewesen, aber es war niemand auf der Straße. »Und dann sah ich die Adern an ihrem Hals dicker werden, als sie ein jiddisches Wort schrie. Ich glaube, wir waren beide heimlich verliebt in Worte.« »Und ihr wart beide heimlich verliebt ineinander.« Er lachte wieder. »Was waren die Worte, die sie schrie?« »Ich weiß nicht. Ich wusste nie, was sie bedeuteten. Ich kann sie noch hören.« Er schrie ein jiddisches Wort auf die Straße. »Warum hast du sie nie gefragt, was die Worte bedeuten?«
»Ich hatte Angst.« »Wovor hattest du Angst?« »Ich weiß nicht. Ich hatte einfach zu viel Angst. Ich wusste, dass ich nicht fragen sollte, also hab ich nicht gefragt.« »Vielleicht sehnte sie, dass du sie fragst.« »Nein.« »Vielleicht brauchte sie, dass du sie fragst, damit sie es dir sagen konnte.« »Nein.« »Vielleicht schrie sie: >Frag mich! Frag mich, was ich schreie.<«
Wir zogen den Maiskolben die Haut ab. Die Stille war ein Berg.
»Erinnerst du dich an den Zement in Lwow?«, fragte er mich.
»Ja«, sagte ich.
»Ich auch«, sagte er.
Mehr Stille. Wir hatten nichts zu reden, nichts Wichtiges. Nichts konnte wichtig genug sein.
»Was schreibst du in dein Tagebuch?« »Ich mache mir Notizen.« »Über was?« »Für das Buch, an dem ich arbeite. Kleine Dinge, an die ich mich erinnern möchte.« »Über Trachimbrod?« »Genau.« »Ist es ein gutes Buch?« »Ich habe erst einzelne Stücke davon geschrieben. Ich habe ein paar Seiten geschrieben, bevor ich diesen Sommer hergekommen bin, ein paar auf dem Flug nach Prag, ein paar im Zug nach Lwow, ein paar letzte Nacht.« »Lies mir daraus vor.« »Das ist zu peinlich.« »Nein, das ist es nicht. Es ist nicht peinlich.« »Doch.« »Nicht, wenn du es mir erzählst. Ich werde es genießen, ich verspreche es. Ich bin sehr leicht zu verzaubern.« »Nein«, sagte er, und so tat ich etwas, von dem ich dachte, dass es okay und sogar komisch war. Ich nahm sein Tagebuch und klappte es auf. Er sagte nicht, dass ich es nicht lesen konnte, und er wollte es auch nicht zurückhaben. Ich las das:
Er sagte zu
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