Alles ist grün
lebenslänglich. Die Nachbarschaft hat die Schreie meiner Geliebten gehört. Meine Körpersekrete waren auf dem Schaft des Pfeils, der sie umgebracht hat. Man wird mich zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilen. Ich versuche, das ebenso zu akzeptieren wie dieses Zuchthaus. Ich bin erwachsen geworden. Die Hölle hier ist schlimmer als Boschs schlimmste Albträume, und mir steht die Festanstellung bevor. Womit wollen Sie da noch herumfuchteln? Sie können nichts machen.«
Wenn Mark Nechtr sich nicht mehr bremsen kann, werden seine Dialoge leicht blumig. Aber darauf ist geschissen. Verstanden?
Aber Jack Lord lächelt das einzige ihm erlaubte Lächeln: das Lächeln, das in dem, was sich nicht ändert, nichts Erheiterndes findet. Die geordnete Welt, in der er am Ruder steht, ist schwarz-weiß. Daves Gesicht wird gelb, als Lord ihm den Zahn zieht: Es geht nicht darum, was die Strafverfolgungsbehörden ihm antun können. Es geht darum, was sein abgängiger Zellengenosse ihm noch antun kann. Dave ist der einzige lose Faden im nahtlosen Gewebe des Fälschers. Und dieser Fälscher ist ein abgebrühter Profi: Er weiß, dass ein Murmeln im Schlaf ein monatelanges Weben auftrennen kann. Vielleicht – nein: zweifellos – hat Mark Dave damit eingeschüchtert, was man mit Singvögeln macht. Lord gibt zu bedenken, dass er in seiner Darstellung wahrscheinlich ausgelassen habe, was mit Vögeln geschieht, die nicht singen. Dave stellt eine Unordentlichkeit dar. Einen losen Faden. Ein ästhetisches Problem. Und Fälscher sind Zwangsneurotiker, was die ästhetische Integrität ihrer Werke angehe. Lord gibt eine Prognose ab. Mark wird Dave vernichten lassen. Abmurksen, kaltmachen, abservieren. Mark hat hier im Zuchthaus seine Clique, ein grausames Gefolge. Sie werden kommen, prophezeit Lord. Daves einzige Wahl ist zu singen und Jack Lord Marks Mittel, Wege, Tempo und Ziel zu offenbaren. Dann und nur dann kann Jack Lord, der die Regeln nicht macht, sie aber bis zum Gehtnichtmehr durchsetzt, einen hilfreichen Zeugen vielleicht abschirmen und beschützen, Dave, einen Aktivposten mit Strafverfolgungswert. Nur dann kann Jack Lord bevollmächtigt werden, Dave das Leben zu retten. Kann den Bogenschützen allein essen und duschen, üben und sich entleeren lassen, privat, mit zuverlässigen Wärtern, weit weg von DENEN . Vielleicht lässt es sich sogar arrangieren, Dave in ein anderes Zuchthaus zu verlegen. Wo er dann einen Neuanfang machen kann. Woanders. Ein strafverfolgungstechnisch unbeschriebenes Blatt. Aber Lord verspricht, dass all das, nein, schon allein das Den-heutigen-Tag-Überleben nur dann geschehen kann, wenn der Bogenschütze das offenbart, wovon Lord weiß, dass er es weiß. Wenn nicht … nun, das muss er in dieser Umgebung wohl nicht ausbuchstabieren, oder? In einem Zuchthaus ist man nie allein.
Jack Lord lächelt das uns bekannte monochrome Lächeln. Die Sache liegt bei ihm, dem Bogenschützen, nicht dem Gefängnisdirektor. Dave ist willkommen, in aller Ruhelosigkeit über die Angelegenheit nachzudenken, zurück in der gewöhnlichen Bevölkerung. Der Gemeinschaft der Häftlinge.
Und siehe da. In null Komma nichts passieren die Dinge. Man fällt beim Hofgang über ihn her, unter der Dusche, in der Werkstatt für Nummernschilder, in der Zelle. Dave wird überfallen, angegriffen, missbraucht, mit selbst gemachten Waffen gestochen, deren Selbstgemachtheit sie nur furchterregender macht. Es hat sich herumgesprochen. Der Buschfunk sendet. Leise schlagen undeutliche Trommeln. Etwas ist ausgelobt worden. Eine unermessliche Belohnung. Einhundert Zigaretten.
Jack Lord erklärt seinem teutonischen neuen Vizedirektor – in einer narrativen Verwerfung, die Ambrose Nechtr gerade noch durchgehen lässt –, dass das Leben im Strafverfolgungssystem einen niedrigen Preis hat, weil es im Zuchthaus überschüssige Leben gibt, Leben, die nur Nummern haben, Leben ohne Ehre, Wert oder Ziel. Es gibt keine Nachfrage nach ihnen. Die unsichtbare Hand des Markts hebt einen Finger und verurteilt die Schuldigen zu einer Existenz radikaler Freiheit, der Freiheit, allein bei einer Randale zu ersticken oder zu verhungern.
Auch noch ein didaktischer kleiner Scheißer. Nechtr. Aber Ambrose war in jener Workshopsitzung nachsichtig. Es war deutlich zu sehen, dass er den Jungen tief innerlich mochte.
Jedenfalls liegt der schwache, kränkliche und übel zugerichtete Bogenschütze auf der heruntergekommenen Krankenstation des Zuchthauses, sieht
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