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Alles ist grün

Alles ist grün

Titel: Alles ist grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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ist froh, dass Mark geht, aber hallo. »Bon voyage. Gute Reise. Setz einen Hut auf. Und lass das Trampen.«
    Weitere nachhallende Verbindungen zwischen Singen und gewaltsamem Tod entschwinden mit dem Fälscher, der den Schlüssel im hell erleuchteten Korridor des Zellenblocks wie eine Kerze vor sich herträgt.
    Verständlicherweise sind die Strafverfolgungsbehörden von Maryland gar nicht glücklich darüber, dass der dreimal überführte Fälscher fort ist. Auf freiem Fuß. Justizhubschrauber knattern die ganze Nacht lang durch die Luft. Dave dreht der immer noch offenen Tür den Rücken zu, umklammert sein Fenstergitter mit den Fäusten und beobachtet die Suchscheinwerfer, deren Licht draußen aus den Wolken über das Land streicht; hört das winselnde Betteln der ungeduldigen, angeleinten Hunde, die sinusrhythmischen Fluchtsirenen des Zuchthauses; steht da und schaut, bis die Hände Uniformierter ihn in der schleichenden Morgendämmerung von Maryland in das spärlich möblierte, spartanische, nüchterne Büro des Gefängnisdirektors führen.

    An dieser Stelle wird ein narratives Risiko abgeschätzt und eingegangen. Der Gefängnisdirektor ist der berühmte Jack Lord. Mit jener augenscheinlichen Inkonsistenz, die Creative-Writing-Professoren zu so entzückend rätselhaften Kobolden macht, billigt Ambrose diese spezielle unrealistische/symbolische Note. Teilweise, räumt er ein, werde die reiche Mehrdeutigkeit des Realismus dadurch geopfert. Aber da Nechtrs Erzählung in toto vom Workshop als das Gefühl einer ganzen neuen Generation interpretiert werde, als das Gefühl einer undefinierbaren, aber verdienten Schuld, von Beengung, Angst, Verwirrung sowie, ja, von der Frage der Ehre unter den Bedingungen der amerikanischen Postmoderne, klinge seine fiktionale Verwendung einer populärkulturellen Ikone, geschmiedet in jenem Medium, das (leider? leider? ) das bruchsichere Fenster dieser Generation auf sich selbst sei, irgendwie glaubhaft, erklärt uns Ambrose. Es knüpfe auch an die anschaulichen Bilder der Hubschrauber nach der Flucht an und erzeuge so ein Gefühl von Einheit, Geschicklichkeit und Sorgfalt. Was gut sei.
    Gut sei auch die Tatsache, dass Lord kaum beschrieben werden müsse, schließlich sei er eine Ikone des Ruhms. Sein hartes, kantiges Gesicht – weiß wie das Gesicht eines Mannes, der die stets widerspenstigen Zügel fest in seinem eisernen Griff habe –, sein unwahrscheinlich ausgeprägter Kiefer, kaum vorhandene Lippen, schwarze Augen und hoch ansetzende schwarze Haare mit einer verrutschten Strähne haben sich dem Bewusstsein einer ganzen Post-Schlaghosengeneration eingeprägt. Dave musste nicht mal die Augen hochziehen, um Schrot und Korn seines Direktors zu erkennen, als er Jack Lord zuhört, erst zuhört und dann lügt, jegliches Wissen um Marks Fluchtpläne dementiert, das Mitbekommen der Flucht, jedes Fitzelchen von Wissen um die Fluchtmethode des Fälschers, sein Ziel, seinen Weg oder sein Fluchttempo. Mark, sagt Dave, habe ihm nichts anvertraut. Mark ekelte ihn, terrorisierte ihn und missbrauchte ihn. Er sei, ehrlich gesagt, froh, dass der Wiederholungstäter fort sei, ja, aber er wisse nicht, wohin, und es sei ihm auch egal. Wäre er in die ganze Sache eingeweiht gewesen, wäre er dann nicht auch fort? Würden nicht alle Lebenslänglichen eine sich bietende Fluchtmöglichkeit ergreifen?
    Nicht wenn sie schuldig sind, erwidert Lord. Nicht wenn sie hier zu den ganz besonderen wenigen gehören, die wissen, wo sie hingehören.
    Jack Lord weiß immer mehr, als die von ihm Befragten ihm zutrauen würden. Das liegt in seinem Charakter. Das ist Gesetz.
    Ein Charaktergesetz ist auch, dass ein Flüchtling seinem Zellengenossen immer die Hucke vollquasselt, wo er hingeht. Und Mark ist wie alle eingesperrten Verstoßer gegen Recht und Gesetz des Festlandes, wie alle verabscheuenswerten Männer, bei denen jede einzelne Bewegung nicht auf etwas zu, sondern von etwas fort geht, ein Sabbelmaul. Eine geborene Plaudertasche. Und Dave hier, sieht Lord auf den ersten Blick, ist ein geborener Zuhörer. Jack Lords zeigender Finger ist der eines mächtigen und manikürten Gottes. Seine Augen lodern in dunklem Feuer. Er lächelt nicht. Dave kennt sie und muss sie sagen. Die Wahrheit.
    Dave steht da und lügt und lügt und lügt.
    »Und selbst wenn ich es wüsste«, sagt er schließlich mit käseglatter Stimme, »ich singe nicht. Ich werde nicht singen. Und Sie können mich nicht dazu zwingen. Ich bekomme

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