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Alles ist grün

Alles ist grün

Titel: Alles ist grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foster Wallace
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brauner Nase und blutig auf der geschändeten Pritsche unter ihm einschläft –, dass er, Mark, wenn er nur die Zacken für seinen gefälschten Schlüssel hinkriegt, fliehen, die winzige graue Zelle und den bewachten, stacheldrahtumzäunten Zuchthauskomplex hinter sich lassen und ins mythische und fruchtbare Marschland von Tidewater zurückkehrenkann, das er als Schreckenskind durchstreift hat, dass er dann glücklich, heil und menschlich werden kann. Als Ideenmann postuliert er, Sinn und Zweck des Einsperrens in vergitterten Zellen mit winzigen vergitterten Fenstern – wobei Letztere die Sache nur schlimmer machen, denn der Gefangene kann eine gestreifte Außenwelt sehen, die die Gitterstangen sichtbar und zugleich unerreichbar machen – seien die »Entmenschlichung«, und er, Mark, habe als minimaler Mensch (Dave ist kein Idiot und hüllt sich an dieser Stelle in Schweigen) ein Recht darauf zu fliehen, analog dem Recht eines jeden angegriffenen Mannes, sich zu verteidigen und zu töten, um etwas zu behalten oder zurückzuerlangen.
    Einzelheiten: Mark hat den späteren Teil seines Lebens größtenteils hinter Gittern verbracht, im Zuchthaus, und kontrolliert eine ganze Schule abgefeimter und demoralisierter Lebenslänglicher, die dem ganzen Zuchthaus seine eigentliche Existenzberechtigung geben. Mark hat Untergrundfühler, die er bis auf die schwärzesten Märkte ausstrecken kann. Er und seine Schule tun Dave Unaussprechliches an, setzen dem schwachen, kränklichen, reumütigen Bogenschützen auf so vielfältige und verwerfliche Weisen zu, dass Nechtr, ehrlich gesagt, weder die Nerven noch die finstere Fantasie hat, das eingehender zu beschreiben. Diese mangelnde Begabung wird aber von einem sensiblen Dozenten und einem Nechtr zugetanen Workshop als disziplinierte Zurückhaltung interpretiert und erhält Extraapplaus.
    Usw. usf., jedenfalls macht Mark eines Nachts nach der Einschließung, als man nur noch die erstickten Schreie der Vorschlafvergewaltigungen hört, die Prophezeiung seiner Flucht wahr. Dave erwacht aus dem vertrauten diplopen Albtraum und sieht im gestreiften Gegenlicht aus dem Korridor des Zellenblocks, wie sich sein feister Zellengenosse mit einem gefälschten Schlüssel, getempert in zweimonatiger Arbeit in derMetallwerkstatt, wo das Zuchthaus Nummernschilder herstellt, am Schließmechanismus ihrer Zelle zu schaffen macht. Der Schlüssel mit seiner verblüffend einfachen Zahnung verschafft dem abgebrühten Fälscher gleichwohl absolute Kontrolle über sämtliche supermodernen automatischen Türen des Zuchthauses. Als Schlüssel macht der Schlüssel nicht viel her: Mark hatte das Ding wochenlang deutlich sichtbar neben dem Ausscheidungseimer herumliegen lassen – nur Dave, sagte er, hatte erfahren, was das wirklich war und wozu es aus freien Stücken verwendet werden konnte.
    Geräuschlos gleitet die vergitterte Tür auf ihrem zuverlässig geölten Gleis auf. Dave hört, wie Mark die schlaffen kotzweißen Ohren spitzt: Außer der fernen Wimmersymphonie unfreier Träumer ist nichts zu hören.
    Und in jenem bekannten Moment des Zögerns aller Springer vor dem Sprung dreht sich Daves Folterkamerad noch einmal um und mustert den Raum, den er gefüllt hat und jetzt leeren wird. Das Glänzen von Daves offenem scharfen Schützenauge spiegelt sich im verstellten, fehlenden Gitterschatten, der ihn normalerweise verdunkelt. Der liegende Dave und der stehende Mark starren sich einen schweigenden Augenblick lang an. Dave könnte nicht sagen, ob das Gesagte laut gesprochen wird.
    »Du weißt, was ich hergestellt habe. Du hast mich flüstern gehört. Du siehst, was ich mache.«
    Dave nickt.
    »Und du weißt, wohin ich unterwegs bin.«
    Weiß Dave.
    »Wehe, du singst.«
    Dave schüttelt den Kopf.
    »Wenn du singst, bring ich dich um.«
    Ist Dave klar.
    »Wenn du singst, jag ich dir den ganzen Laden in denArsch. Die ficken dir die Rosette blutig und geben dir deinen Schwanz zu fressen. Die machen dich kalt. Man wird deinen schwachen kleinen Körper an allen möglichen Orten finden. Im Plural wohlgemerkt. Rotzlöffel.«
    »Verstanden«, sagt Dave so tonlos, dass es keine Spur eines Echos gibt.
    Nur Marks Stimme erzeugt immer Echos. »Wenn du singst, bist du hinüber. Abgekackt. Finito. Hundertpro. Ich habe Fühler und Rechte. Ich kann mich gegen dich verteidigen.«
    »Ich singe nicht«, sagt Dave.
    »Papa!«, ruft ein pathologischer Exhibitionist weiter unten im Zellenblock.
    »Sing nicht.«
    »Geh, Mann.« Dave

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