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Alles Land - Roman

Alles Land - Roman

Titel: Alles Land - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Lendle
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tat? Hinter ihm begann das Pferd zu wiehern. Der Bär kam langsam auf sie zu und richtete sich auf. Auch Loewe hob die Arme. So standen sie voreinander, ganz offensichtlich berauscht von der eigenen Stärke und doch nicht willens, Gebrauch davon zu machen. Hinter ihnen hatte das Pferd mittlerweile Schaum vorm Maul, nervös tanzte es auf der Stelle und ließ die Petroleumdunke leise aneinanderschlagen.
    Endlich rief Wegener Loewes Namen, und ganz langsam begann er rückwärtszuschreiten, ohne dabei den Blick von seinem Gegner zu nehmen. Erst als auch der Bär sich auf alle viere niederließ, den Kopf senkte und von dannen zog, so dass Loewe sich Beifall heischend zu ihnen umsah, machte Wegener seinem Ärger Luft: Was ihm einfalle, schrie er, den Erfolg der Mission so leichtsinnig aufs Spiel zu setzen. Sie seien hier nicht im Zirkus. Seine Stimme überschlug sich, vor Ärger, über Loewe und über sich selbst, weil er nicht früher eingeschritten war.
     
    Wegener zog um in das große Hilde-Zelt hoch oben an der Kante des Inlandeises, zusammen mit Loewe und Dr. Wölcken. Der Ausblick war erhaben: Stundenlang strich die Sonne knapp über dem Wasser dahin, als fürchte sie, darin zu verglühen. Ganz allmählich nur wechselten die
Farben. Draußen vor der Bucht hatte sich ein Eisberg gelöst, gegen das Abendlicht sah er aus wie ein riesenhafter Torbogen und strahlte grün und kalt und violett. Bis zum Horizont das treibende Eis, lose, gebrochen, ineinander verkeilt.
    Eine Woche zuvor war Georgi allein nach Eismitte aufgebrochen, damit die Messungen endlich begannen.
     
    Auch die Zeltplätze benannten sie inzwischen nach ihren Familienmitgliedern. Die Sehnsucht war streckenweise kaum mehr zu ertragen. Immerhin waren die Läuse unterdessen weniger geworden.

    Das Singen eines Motors. Alle Mann stürzten sogleich an den Zelteingang, Loewe noch im Schlafsack, die Haare klebten ihm in der Stirn, eine Hand hielt er vorgestreckt, offenbar hatte er seine Brille auf die Schnelle nicht gefunden. Wölcken griff sich den Spaten und begann den Eingang freizuschaufeln. Die Wehe war beachtlich, immer neue Schneemassen rutschten zu ihnen herein, aber Wölcken tat sein Bestes. Sobald man halbwegs hindurch passte, drängte Wegener schon an ihm vorbei, um hinauszukriechen, und dann standen sie zu dritt im Schnee vor dem Zelt, barfuß und im Unterzeug, und hielten Ausschau.
    Noch immer lag dieses feine Geräusch in der Luft wie Sphärenmusik. Dann entdeckten sie in der Ferne einen schwarzen Fleck, der langsam näher krabbelte. Sie bewegten sich nicht von der Stelle, sondern standen nur da und betrachteten das herannahende Wunder: jede Regung des
zerbrechlichen Körpers, jedes seitliche Rutschen, jeden Sprung, wo er von einer Unebenheit des Bodens in die Höhe geworfen wurde.
    Und schon fuhr der Schlitten in einer großen Schleife zu ihnen heran, bremste, rutschte noch ein wenig, stoppte dann, und während der Propeller im Leerlauf weiterkreiste, sprang der Verschlag der Kabine auf, und Kraus kletterte hervor.
    Während die anderen in die Stiefel sprangen und auf den Schlitten zustürmten, stand Wegener einfach da und dachte darüber nach, was das alles bedeutete. Vor ihren Augen begann ein neues Kapitel der Polarforschung. Wie schnittig der Motorschlitten aussah, wie zeitgemäß. Ein Wesen, das direkt aus der Zukunft zu ihnen gestoßen war. Und auch für ihre Reise öffnete sich damit eine Tür, zumindest einen Spalt weit, und ungläubig wie durch den Zelteingang an diesem Morgen sah Wegener auf das neue Versprechen. Vielleicht könnte es ihnen gelingen, doch noch hindurchzuschlüpfen.
    Kraus brachte gute Nachrichten. Während sie die Benzinkanister zum Depot schleppten, berichtete er schnaufend, Uvkusigsat melde sieben Tonnen Gras, was mindestens zweitausend Kilogramm Heu entspreche. Hinzu kamen Umanak mit weiteren sechzig Sack, dazu Satut, Ikerasak, Kaersut und Akuliarusersuak. Wegener triumphierte. Was für einen Unterschied es für die Moral bedeutete, ob man mühsam selbst erntete oder nur bestellte und den Rest von den ausschwärmenden Frauen und Kindern besorgen ließ. Pferdefutter hatten sie nun im Überfluss. Und wenn doch noch alles gelang?

    Den Rest des Tages verbrachten sie im Schneespatz, wie der erste der Schlitten bald getauft war, und fuhren kreuz und quer am Rand des Inlandeises entlang. Geduckt saßen sie in der engen Kabine und schauten hinaus auf die Bucht. Wegener durfte steuern, unter Kraus’ kritischem Blick. Nicht

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