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Alles muss versteckt sein (German Edition)

Alles muss versteckt sein (German Edition)

Titel: Alles muss versteckt sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiebke Lorenz
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dass sie wirklich dringend Kontakt zu Elli haben muss. Vergeblich, nichts zu machen, Datenschutz, natürlich, da könnte ja jeder kommen! Und so muss es jetzt eben allein gehen, ohne die vertraute Freundin. Auch wenn Marie noch oft an Elli denkt und das Bedürfnis verspürt, ihr zu erzählen, was alles geschehen ist. Wie gern hätte sie ihr geschrieben, dass sie wirklich recht hatte und dass Marie nicht eine Sekunde lang daran hätte zweifeln dürfen: dass Denken nicht Tun ist. Sie hofft, dass Elli es trotzdem weiß, dass sie nicht irgendwo sitzt – vielleicht auch in einer Klinik, in einer Irrenanstalt – und glaubt, dass Marie eine Mörderin ist.
    Ebenso verschwunden wie Elli bleibt Vera. Einen Brief hat Marie über die Klinik noch von ihr erhalten, ein paar knappe Zeilen, in denen sie um Verzeihung bittet. In denen sie noch einmal betonte, dass sie wirklich geglaubt habe, Marie sei die Mörderin und dass sie Felix nie und nimmer ein falsches Alibi verschafft hätte, hätte sie die Wahrheit auch nur geahnt. Kurz hat Marie überlegt, ihr zu antworten, hat es aber dann nicht getan. Wenigstens das will sie vergessen, diese Episode in ihrem Leben, die ihr noch mehr Leid und Kummer gebracht hat, als ohnehin schon da war. Einfach vergessen. Oder, wie Jan Falkenhagen sagen würde, verdrängen . Was auch immer, Hauptsache, sie wird daran nicht mehr erinnert.
    Sie ist nicht wütend auf Vera. Nicht einmal, weil ihre Falschaussage vielleicht überhaupt erst dazu geführt hat, dass Marie sich für die Schuldige hielt. Auch weil sie versteht, dass man diejenigen, die man liebt, schützen will. Das ist normal, normale Menschen verhalten sich so. Und das will Marie ab sofort auch wieder, sich so normal verhalten wie möglich, und diese Geschichte, die sie erleben musste, und alles, was damit zu tun hat, würde sie daran nur hindern.
    Über dem Eingang flattert ein Schriftzug im Wind, eine Girlande mit den Worten »Herzlich Willkommen«. Acht Wochen nach ihrer Entlassung aus der Forensik hat Marie den Mut, wieder zur Arbeit zu gehen. Ihre Therapeutin findet, dass nichts dagegenspricht, vorausgesetzt, dass Marie sich langsam eingewöhnt und sich nicht übernimmt. Zwei oder drei Stunden am Tag sind in Ordnung, sie hält ihre Patientin für stabil genug. Der Zwang, das merkt auch Marie mit großer Erleichterung, hat sich zurückgezogen. Hat die Waffen gestreckt, die weiße Flagge gehisst und ihren Kopf verlassen. Unheilbar , dieses Wort, das Marie damals im Forum gelesen und das sie so erschreckt hatte, scheint auf sie nicht zuzutreffen. »Sie haben Glück«, hat ihre Therapeutin gesagt, »Sie gehören zu den wenigen Menschen, die den Zwang vollständig besiegt haben. Das heißt nicht, dass er nicht wiederkommen kann, da müssen Sie trotzdem aufpassen.« Das wird Marie, darauf wird sie genauso gut aufpassen wie auf die Kinder, auf die sie sich schon seit Tagen freut.
    Christopher geht neben ihr, als sie den Kindergarten erreichen. Es kommt ihr vor, als seien Jahre vergangen, seit sie zuletzt hier war, seit sie zuletzt durch diese Tür, in dieses Leben gegangen ist. Mit einem Mal bekommt sie Angst, Angst davor, das Gebäude zu betreten. Auch wenn der Schriftzug sie willkommen heißt – was erwartet sie hier? Ihre alten Kollegen, die vertrauten Kinder, sicher, das weiß sie. Aber heute ist Marie nicht mehr die Alte, die Vertraute, das ist sie nicht und das wird sie nie wieder sein.
    »Alles in Ordnung?«, fragt Christopher.
    »Geht so.«
    »Sollen wir lieber wieder fahren? Das ist kein Problem, ich kann kurz reingehen und Bescheid sagen, dass du doch nicht kommst. Das wird jeder verstehen. Meiner Meinung nach ist es sowieso zu früh, du solltest dir mehr Zeit geben.« Marie denkt an ihre Worte. An das, was sie zu Hannah gesagt hat. Je länger es dauert, desto größer wird die Angst
    »Nein«, sie schüttelt den Kopf. »Ich gehe da jetzt rein und mache das, was ich am besten kann. Mit Kindern arbeiten.«
    »Bist du sicher?«
    »Ja, das bin ich.«
    »Marie!!!« Kaum hat sie die Eingangstür durchquert, stürmen die ersten Knirpse auf sie zu und werfen sie fast um. Dutzende kleine Kinderhände zerren an ihr, Marie weiß gar nicht, wie ihr geschieht.
    »Langsam, langsam!«, ruft sie aus. »Ihr überfallt mich ja richtig!« Sie muss laut lachen, während sie die vielen kleinen Körper an sich drückt, heiße Wangen küsst und streichelt und feuchte Schmatzer abbekommt.
    Mittlerweile sind auch ihre Kollegen im Flur, Jennifer, Tanja und

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