Alles muss versteckt sein (German Edition)
habe!«, schneidet Marie ihr das Wort ab.
»Mein Mann hat mit einem Arzt gesprochen. Und der hat gesagt, dass sie jederzeit wieder ausbrechen kann.«
»Nicht, wenn ich aufpasse«, sagt Marie. Gleichzeitig merkt sie, wie schwach sie sich fühlt. All die Energie, all die Vitalität, die sie in den letzten Tagen tanken konnte, scheint aus ihr herausgesaugt zu werden, viel länger wird sie diese Diskussion nicht durchhalten.
»Wie willst du denn aufpassen? Nur der kleinste Stress kann die Krankheit wieder auslösen, hat mein Mann gesagt.«
»Selbst wenn!« Marie mobilisiert die letzten Reserven, um die Mutter zu überzeugen, dass sie für keines der Kinder eine Gefahr darstellt. »Denken ist nicht tun!« Ihre Stimme überschlägt sich fast, als sie Ellis Leitsatz hinausschreit. »Es ist nur in meinem Kopf, nur da, aber es ist keine Tat! Ich würde nie etwas machen, was den Kleinen schaden kann, nie! Und die Kinder wissen das.« Der letzte Satz kommt leise und resigniert. Es sind Hannahs Worte, die Antons Mutter natürlich nicht verstehen kann.
»Marie«, nun schlägt die Mutter einen überraschend sanften Ton an. Sie macht einen Schritt auf Marie zu. »Ich weiß ja, dass das schlimm für dich ist. Und es will dir doch keiner etwas Böses. Aber«, sie sucht nach den richtigen Worten. »aber du musst das doch auch verstehen. Stell dir doch nur einmal vor, es wäre dein Kind.«
Dein. Kind.
Celia.
Das ist zu viel. Der Widerstand in Marie bricht in sich zusammen wie ein Kartenhaus, für einen Moment muss sie sich am Türrahmen festhalten. Dann, als würde ein Adrenalinstoß durch ihren Körper pumpen, schnellt sie herum und stürzt davon. Sie hört Jennifer noch ihren Namen rufen, aber sie bleibt nicht stehen. Marie muss raus hier, raus, bevor sie tatsächlich etwas tut, was sie hinterher bereuen könnte.
Christopher ist nicht zu Hause, als sie die Wohnung erreicht. Auch in seinem Büro oder über Handy ist er nicht zu erreichen. Sie versucht es bei ihrer Therapeutin, aber auch dort geht nur der Anrufbeantworter ran.
Was tun, was tun?, rattert es durch ihren Kopf, während sie rastlos durch Christophers Wohnung hin und her läuft. Was soll sie nur tun? Sie ist unschuldig, freigesprochen, wieder gesund – aber das alles interessiert nicht. Es ist, wie ihre Mutter Regina prophezeit hatte, die Leute halten sie für verrückt! Ja, sie haben Angst vor ihr! Daran kann kein Gericht der Welt, kein ärztliches Gutachten etwas ändern. Marie ist stigmatisiert, eine Aussätzige, eine, von der man sich fernhalten muss! Es gibt nichts, was sie dagegen tun kann, nichts. Als ihr das klar wird, sackt sie weinend in sich zusammen.
»Was ist denn hier los?« Marie hebt den Kopf, sie muss eingenickt sein, Christopher blickt verwundert auf sie herab. »Was ist passiert?« Marie bleibt auf dem Boden hocken, erzählt mit fast teilnahmsloser Stimme vom Kindergarten, von der angeblichen Krankheitswelle und von Antons Mutter.
»Was für dumme, selbstgerechte Arschlöcher!«, ruft Christopher aus.
»Sie haben eben Angst«, sagt Marie, als müsse sie ihre Angreifer verteidigen.
»Dann sind es eben ängstliche Arschlöcher! Du bist freigesprochen worden und du bist gesund. Die können dich da nicht rausekeln, dafür gibt es keine rechtliche Grundlage!«
»Aber sie können ihre Kinder abmelden.«
»Dann sollen sie das machen, kann dir ganz egal sein!«
»Mir ist es aber nicht egal, Christopher.« Sie hat das Gefühl, ihn beruhigen zu müssen. »Ich kann sie auch ein bisschen verstehen, sie glauben, dass ihre Kinder bei mir in Gefahr sind.«
»Quatsch!«, fährt er sie an. »Das Gefährlichste am Kindergarten ist der Weg dahin!«
»Ich weiß.«
»Wir fahren da jetzt hin!«, sagt Christopher.
»Was soll das bringen?«
»Ich werde mit der Kita-Leitung sprechen. Das wollen wir doch mal sehen!« Er ist so aufgebracht, dass seine Halsmuskulatur deutlich hervortritt. Als wäre er kurz davor, jemanden zu schlagen.
»Nein.« Marie wünscht, sie könnte etwas anderes erwidern, ihm sagen, dass sie wirklich hinfahren und ordentlich auf den Putz hauen sollten. Aber sie weiß, dass es zwecklos ist. »Selbst wenn wir im Recht sind und mir niemand etwas anhaben kann – ihr Vertrauen in mich ist zerstört, alle halten mich für krank und gefährlich.«
»Aber –«
»Nein, Christopher, nichts aber. Ich rufe morgen in der Mansteinstraße an und melde mich für unbestimmte Zeit krank.« Allein bei dem Gedanken bildet sich ein dicker Kloß in
Weitere Kostenlose Bücher