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Alles muss versteckt sein (German Edition)

Alles muss versteckt sein (German Edition)

Titel: Alles muss versteckt sein (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wiebke Lorenz
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Sensation! Noch dazu der Mord an einem bekannten Schriftsteller, an einem Prominenten! Hurra, räumt die Titelseite frei!
    Und jetzt hatte die Nation natürlich auch ein Recht darauf, zu erfahren, wie er ausgegangen war, dieser Prozess. Und wie das arme, bedauernswerte Opfer sich fühlte. Ja, das wollten die Reporter natürlich wissen, wollten ihre Mikrofone auf Marie richten, um ein paar hoffentlich tränenreiche Aussagen zu ergattern. Vielleicht sogar, wer wusste das schon, einen kleinen Ausraster provozieren, einen öffentlichen Zwangsanfall, einmal hautnah und live das miterleben, über das sie schon so viel geschrieben hatten. Über diese geheimnisvolle Krankheit, über die sie zwar nicht das Geringste wussten, über die sie sich aber trotzdem ausufernd ausbreiteten unter Zuhilfenahme zweifelhafter und selbst ernannter Experten. »Diese Frau hat die Hölle im Kopf!«, lautete eine der vielen Schlagzeilen, von der Christopher Marie berichtet hatte, damit sie sich darauf vorbereiten konnte, was sie draußen erwartete.
    Den Gefallen einer öffentlichen Stellungnahme hatte sie den Journalisten nicht getan, Marie hatte durch einen Seitenausgang das Gerichtsgebäude verlassen, beschützt von zwei Beamten, die sie zu einem Polizeiwagen geführt hatten, der sie zum letzten Mal in die Forensik bringen sollte, damit sie dort ihre Sachen holen konnte.
    Pech für die Reporter, Glück für Regina, die in ihren fünfzehn Minuten Ruhm baden und allen ihre Sicht der Dinge hatte erläutern können. Marie war es egal, was ihre Mutter erzählte, dass sie behauptete, ihre Tochter jeden Tag in der Psychiatrie besucht und ihr immer beigestanden zu haben. Es spielte keine Rolle. Sie war noch immer wie betäubt. Seit sie von Felix’ Schuldeingeständnis und seinem Selbstmord erfahren hatte, kam ihr alles vor wie ein langer Traum, als würde sie sich unter Wasser bewegen, alles um sie her war eigenartig unwirklich und gedämpft. Sie hatte kaum gehört, was der Richter bei der Urteilsverkündung gesagt hatte, hatte nur ein paar Wortfetzen ihres Anwalts über eine finanzielle Entschädigung mitbekommen. Auch das war ihr gleichgültig.
    Erst jetzt, als Marie in ihrem Zimmer sitzt, ihre Sachen alle schon eingepackt, wird ihr bewusst, was passiert ist. Dass sie frei ist, zumindest äußerlich. Und dass Christopher gleich kommt, um sie abzuholen. Um sie »nach Hause« zu bringen. Nicht in ihre frühere Wohnung, die längst vermietet ist, sondern in seine, vorerst und vorübergehend. »Rein freundschaftlich«, hatte er gesagt, »nur so lange, bis du etwas anderes hast.«
    An der Art und Weise, wie er Marie dabei angesehen hatte, war deutlich zu erahnen gewesen, dass er auch zu etwas anderem bereit wäre, aber sie ist froh, dass er das nicht gesagt hatte. Einen Freund, ja, den kann sie nun gut gebrauchen. Und ein Heim, das ebenfalls, und lieber bei ihrem Exmann ein Zimmer beziehen als bei ihrer Mutter, die das selbstverständlich auch angeboten hatte. Marie ist erleichtert, dass sie dieses Angebot ausschlagen konnte.
    Schon vor Tagen hat Christopher die wenigen Möbel, die Marie noch besitzt – ein Bett, einen Schrank, eine Kommode, einen kleinen Tisch mit vier Stühlen, einen antiken Sekretär; alles eingelagert in der Garage ihrer Mutter –, abgeholt und damit ein Zimmer in seiner Wohnung für sie eingerichtet. Denn es war klar, wie der Prozess ausgehen würde, klar, dass Marie freikäme, also hat er alles für ihre Ankunft vorbereitet. »Ich hab auch Vorhänge besorgt und hoffe, sie gefallen dir. Mit Blumenmuster, wie wir sie früher hatten.«
    Nun also nach Hause. Marie sieht auf ihre Uhr, in knapp zehn Minuten wird Christopher draußen stehen und darauf warten, dass sie die Klinik, die Forsensik , verlässt.
    »Bist du glücklich?«, fragt Hannah. »Freust du dich?« Marie überlegt, während sie ihre Füße betrachtet. Glücklich? Fühlt Glück sich so an?
    »Nein«, sagt sie dann und hebt den Blick. »Ich habe ein bisschen Angst.«
    »Das verstehe ich«, meint das Mädchen und steht vom Bett auf. »Komm. Ich will dich noch einmal drücken.« Marie steht auch auf, umarmt Hannah, zieht sie fest an sich. Diesen kleinen, schmächtigen Körper, dieses halbe Kind, das sie gleich, in ein paar Minuten, hier allein zurücklassen wird.
    »Wie geht es jetzt weiter?«, fragt Hannah direkt neben ihrem Ohr.
    »Ich ziehe erst mal zu Christopher«, sagt Marie. »Gleich morgen habe ich meine erste Sitzung bei einem Therapeuten, den mir die Klinik

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