Alles muss versteckt sein (German Edition)
krankgemeldet hat. »Da scheint ja echt was Übles rumzugehen, so viele Fälle auf einmal hatten wir noch nie!«
»Die werden schon wieder gesund«, sagt Jennifer. »Gut für uns, je weniger Rabauken, desto mehr Ruhe haben wir.« Irritiert macht Marie sich daran, die verbliebenen Kinder vom Spielen zusammenzurufen, um ihnen ihre tägliche Geschichte vorzulesen, bevor es Mittagessen gibt. Das Essen, überlegt sie, ob irgendwas damit nicht in Ordnung ist? Aber alle im Kindergarten essen dasselbe, und weder von den Betreuern noch aus den anderen drei Gruppen sind übermäßig viele krank.
Nach der Mittagspause werden wie immer ein paar Kinder von den Eltern, die nur halbtags arbeiten, abgeholt, und auch Marie beschließt, es nach drei Stunden Arbeit für heute gut sein zu lassen.
Sie steht im Flur, zieht sich ihren Mantel an und winkt Lena zu, die in der Tür zum Gruppenraum steht und ihr frech die Zunge rausstreckt.
»Das können wir nicht machen, da verlangst du etwas Unmögliches!« Sie hört Jennifers Stimme, die aus der kleinen Teeküche zu ihr dringt. Zwar ist die Tür geschlossen, aber Marie hat trotzdem jedes Wort verstanden. Sie horcht auf. Jennifer ist eben mit Antons Mutter dort verschwunden.
»Aber wie stellt ihr euch das vor? Was ist mit der Sicherheit der Kinder?« Marie zuckt zusammen, ihre Hände werden eiskalt, ihr Herz beginnt zu rasen. Sie muss gar nicht erst rätseln, worüber Jennifer mit Antons Mutter spricht. Sie weiß es. Es geht um sie, Marie.
»Sie ist wieder gesund«, hört sie nun ihre Kollegin sagen, als würde sie Maries Verdacht bestätigen wollen.
»Ja? Wie wollt ihr da so sicher sein? Wenn ich daran denke, was damals mit Anton war … « Sie spricht nicht weiter, aber auch das ist nicht nötig, überhaupt nicht nötig.
Marie ist wie erstarrt, steht im Flur mit halb angezogenem Mantel, unfähig, auch nur den kleinen Finger zu rühren, von ihren Füßen ganz zu schweigen. Obwohl sie am liebsten weglaufen will, sich ducken unter diesen Worten, die da aus der Küche kommen und sie wie Schläge treffen.
»Es ist nichts passiert«, hört sie Jennifer sagen. »Und es wird auch nichts passieren!« Schweigen, darauf hat Antons Mutter nichts zu erwidern. Oder zumindest nicht sofort. Kurze Zeit später erklingt ihre Stimme doch wieder.
»Das ist unverantwortlich! Wenn sie hier weiter arbeitet, melden wir Anton ab! Und ich bin sicher, dass das die meisten Eltern tun werden, nicht nur die aus unserer Gruppe!«
Plötzlich kommt Bewegung in Marie. Als hätte ihr jemand von hinten einen Stoß gegeben, stürzt sie auf die Küchentür zu, reißt sie mit einem Ruck auf.
Jennifer und Antons Mutter fahren zu ihr herum. Starren sie an, beide das personifizierte schlechte Gewissen. Bei der Mutter des Jungen nur für einen Schrecksekunde, dann hat sie ihre Gesichtszüge wieder unter Kontrolle, angriffslustig reckt sie das Kinn.
»Marie, wir haben … «, macht Jennifer den Versuch einer Erklärung, aber ihre Stimme erstirbt.
»Ich habe alles gehört«, sagt Marie. Ihre Stimme zittert, sie muss sich beherrschen, um nicht zu brüllen. Nicht aus Wut. Aus Angst.
»Tut mir leid, dass du es so erfahren musst«, sagt Antons Mutter und sieht wieder eine Spur freundlicher aus. »Man hätte es dir anders beibringen sollen.«
»Das stimmt also gar nicht?«, wendet Marie sich an Jennifer. »Dass so viele krank sind?« Ihre Kollegin schüttelt den Kopf.
»Nein«, gibt sie zu. »Das war eine Notlüge.«
»Dann«, Marie traut sich kaum, es auszusprechen, »dann sind so viele nicht da, weil ihre Eltern glauben, ich könnte ihren Kindern etwas antun? Ist es das?« Keine von beiden sagt ein Wort, stumm und verlegen sehen sie Marie an. Marie hat das Gefühl, als würde der Boden unter ihr wanken. Ihr schlimmster Albtraum, das, was sie immer befürchtet hat – ist es nun wahr? Nicht dass sie ihre Gedanken in die Tat umsetzt. Aber dass andere denken, sie könnte es tun.
»Wir haben es doch alle in der Zeitung gelesen«, wagt Antons Mutter sich zaghaft vor. »Diese schreckliche Sache mit dem Schriftsteller und … «
»Ich bin unschuldig!« Marie brüllt so laut, dass die Tür der Teeküche vibriert. Hinter sich hört sie erschrockenes Kindermurmeln, ansonsten ist es plötzlich mucksmäuschenstill in der Kita.
»Ja, das wissen wir«, sagt Jennifer. »Und die Eltern wissen es auch, sie sind nur … «
»Trotzdem!«, sagt die Mutter. »Das, was da über diese Krankheit stand, an der du leidest … «
»Gelitten
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