Alles muss versteckt sein (German Edition)
die Vera kennen, sollte sich Zutritt ins Haus verschaffen wollen? Patrick – tot. Felix – tot. Marie – nicht tot, aber aus Veras Leben verschwunden.
Sie probiert es mit dem Geburtsdatum von Felix. Falsch. Sie will das von Patrick eingeben, zögert aber. Wenn der Code wieder nicht stimmt, geht nach dem dritten Mal vermutlich ein Alarm los. Sie muss ganz sicher sein, bevor sie es mit einer weiteren Zahlenkombination versucht. Kaum was merken. So simpel wie möglich. Marie legt den Finger wieder auf die Tastatur.
Patricks Todestag.
Klick.
Die Tür geht auf.
Im Haus ist alles noch so, wie Marie es in Erinnerung hat. Sie geht durch die große Halle, vorbei an dem mannshohen Kamin, rüber ins Wohn- und Esszimmer. Dahin, wo sie schon oft gesessen hat. Auch hier alles wie immer. Sie verlässt den Raum, geht zurück in den Flur, steuert die Treppe zum ersten Stock an. Oben ein langer Gang mit Türen, sie öffnet eine nach der anderen, hinter der dritten liegt Veras Zimmer.
Hell und freundlich ist der Raum, wie bei Marie hängen geblümte Vorhänge am Fenster, an den Wänden Plakate von Veras Theaterstücken. Marie sieht sich um. Ohne zu wissen, was sie überhaupt sucht. Ein Kleiderschrank. Regale mit Büchern. Eine Tür, die zu einem kleinen Wandschrank führt. Ein Schreibtisch mit Computer, Zettelblock, Locher, Tacker, Schere, Stiften, daneben ein Rollcontainer. Dort fängt sie an, zieht eine Schublade nach der nächsten auf. Verschiedene Unterlagen, Krankenkasse, Finanzamt, Versicherungen, alles durcheinander, besonders ordentlich ist Vera nicht. Dazwischen Texthefte von Theaterstücken, alte Fotos, eins davon aus Kindertagen, das Vera mit ihren Brüdern zeigt. Marie nimmt es zur Hand. Vera in der Mitte, Felix und Patrick haben jeweils einen Arm um sie gelegt. Sie schätzt das Mädchen auf sieben oder acht, Felix ein bisschen älter, Patrick auf der Schwelle zum Erwachsenen. Alle drei lachen fröhlich in die Kamera. Ein Bild aus der Zeit, als die Eltern noch lebten?
Sie legt das Foto zurück, schiebt die Schubladen zu, sieht sich weiter um. Das französische Bett ist gemacht, auf dem Nachttisch ein paar aufgeschlagene Bücher, eine Lampe, ein Radiowecker und ein kleines schwarzes Kästchen, wohl ein MP 3-Player oder etwas in der Art.
Marie öffnet den Kleiderschrank, entdeckt ein paar Sachen, die sie an Vera kennt, weiter nichts. Zum Wandschrank. Unzählige Handtaschen, Tücher, Jacken, drei Hüte, unten auf dem Boden Dutzende von Schuhen. Oben ein Regal, darauf ein Karton. Marie stellt sich auf die Zehenspitzen und holt ihn herunter.
Sie setzt sich auf den Schreibtischstuhl, stellt den Karton auf ihren Knien ab, hebt den Deckel hoch. Wieder Fotos. Aber nicht von Vera oder ihren Brüdern. Sie sind ausgedruckt auf Papier, auf dem ersten ist eine blonde Frau. Marie stockt. Die Frau, etwa in ihrem Alter, sitzt an einem Tisch. Mit einer Rose.
Maries Hände werden feucht, als sie den nächsten Ausdruck betrachtet. Wieder eine Frau, wieder blond. Und wieder mit roter Rose. Sie blättert weiter, insgesamt sieben Bilder sind es. Nein, acht. Denn das letzte davon zeigt sie selbst. Im »Café Bley«. Erst jetzt bemerkt sie, dass die Fotos alle durch eine Scheibe fotografiert wurden. Und dass hinter den Bildern eine Schrift durchschimmert.
Sie dreht die Blätter um. Jemand hat auf der Rückseite die Daten zur jeweiligen Person notiert, Name, Alter, Adresse, Beruf, dazu Anmerkungen wie »Kauft meistens abends beim Edeka Osterstraße ein« oder »Fährt um acht Uhr mit dem Fahrrad zur Arbeit«.
Wieder zittern Maries Hände, sie kann nicht glauben, was sie gefunden hat. Kein Zufall, nein, kein Zufall! Sie und die anderen Frauen, sie wurden ausspioniert! Wurden eine nach der anderen ins »Café Bley« bestellt. Von Elli.
Marie wühlt weiter in dem Karton, ganz unten auf dem Boden liegt eine Kladde, eine alte, abgestoßene Kladde. Sie schlägt den Einband auf. Eine krakelige Handschrift auf der ersten Seite.
Vera kam zu mir ins Bett gekrabbelt. In der ersten Nacht dachte ich mir noch nichts dabei. Vielleicht hatte sie Angst vor der Dunkelheit oder wollte aus einem anderen Grund nicht allein schlafen. Was auch immer es war, ich mochte es, sie so nah bei mir zu spüren, mochte es, ihren Atem direkt neben mir zu hören, mochte es, am Morgen mit ihr zusammen aufzuwachen, ihr weiches Gesicht ganz dicht an meine Brust geschmiegt. Eine Woche später kam sie wieder, gegen zwei oder drei Uhr nachts, und auch diesmal machte ich
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