Alles muss versteckt sein (German Edition)
sagt Marie. »Das kommt mir seltsam vor. Auch, dass Elli jetzt komplett verschwunden ist.«
»Vielleicht hatte sie schlicht keine Lust mehr auf dieses Forum.«
»Und wenn etwas anderes dahintersteckt?«
»Was soll denn dahinterstecken?«
Marie hebt ratlos die Arme. »Keine Ahnung. Aber ich würde mich besser fühlen, wenn ich es wüsste.«
»Vielleicht findest du Elli ja noch und kannst sie dann fragen.« Christophers Tonfall klingt bemüht aufmunternd, er streckt eine Hand nach ihr aus, aber Marie ist schon vom Bett aufgestanden.
»Ich geh mal in die Küche und koch Kaffee«, sagt sie, Christopher lässt den Arm wieder sinken.
Nachdem sie zusammen gefrühstückt haben und Christopher zur Arbeit gefahren ist, checkt Marie noch einmal ihr E-Mailfach. Noch hat MissMarvellous ihr nicht geantwortet, eine weitere Rückmeldung auf ihren Aufruf gibt es ebenfalls nicht, also surft sie unschlüssig ein bisschen im Netz. Gerade mal halb neun ist es, ein endlos langer Tag liegt vor ihr, und sie fragt sich, wie sie ihn hinter sich bringen soll. Diesen Tag und den nächsten und den danach.
Mit dem Rauchen hat sie aufgehört, Kinder mögen keinen Zigarettengestank, aber jetzt denkt sie gerade, dass sie glatt wieder anfangen könnte. In der Forensik hat sie sich damit die Zeit eingeteilt. Damit und mit der Frage, was bloß passiert ist mit ihrem Leben, was sie getan hat oder auch nicht. Nicht einmal das muss sie jetzt noch, Marie muss gar nichts mehr, sie kann hier einfach sitzen bleiben und dabei zusehen, wie die Zeit vergeht. Fast denkt sie, dass es in der Klinik besser war. In dieser Anstalt mit dem nummerierten Besteck und dem geregelten Tagesablauf, mit dem Rumsitzen im Innenhof und dem Zigarettenzüge zählen, mit den Arztgesprächen und dem Dasein als Verrückte.
Vielleicht sollte sie mal Hannah besuchen? Schließlich hat sie das versprochen. Mit Bus und Bahn dauert es sicher eine Stunde bis zur Klinik, wenn sie etwas bummelt sogar eineinhalb. Eine Stunde dürfte sie dort bleiben, vielleicht erlaubt man ihr sogar ein bisschen mehr, sie ist ja schließlich Expatientin. Ja, so könnte sie wenigstens einen Tag mit etwas verbringen, das ihr halbwegs sinnvoll erscheint.
»Bling!« Marie hat eine neue Nachricht. MissMarvellous hat sich gemeldet.
Hi Helena,
ich musste erst mal in meinen alten Mails suchen, das ist ja schon ewig her. Aber ich hab sie gefunden! Also, wir waren damals auf der Reeperbahn verabredet, in einem »Café Bley«. Erkennungszeichen sollte eine rote Rose sein, also hab ich da eine Stunde blöd rumgesessen, die Rose auf dem Tisch, dann bin ich abgehauen. Mehr weiß ich leider wirklich nicht.
Liebe Grüße,
MissMarvellous
Marie starrt auf die Nachricht. Rote Rose. Café Bley. Das heißt nichts, natürlich heißt das nichts. Warum soll Elli nicht zwei Mal den gleichen Laden auswählen, weshalb nicht zwei Mal eine Rose als Erkennungszeichen vorschlagen? Und warum nicht zwei Mal einfach fernbleiben? Trotzdem. Trotzdem hat Marie das ungute Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt. Nur was? Sie schreibt MissMarvellous zurück, bedankt sich kurz bei ihr. Dann steht sie auf. Nicht in die Klinik wird sie jetzt fahren. Sondern in das Café.
Als sie ankommt, herrscht dort reger Frühstücksbetrieb, fast alle Plätze sind besetzt, überall Menschen, die jetzt, um zehn Uhr, Zeit haben für Brötchen, Croissants, Milchkaffee und ein Gespräch. Unschlüssig bleibt Marie im Eingangsbereich stehen, fragt sich, was sie hier eigentlich will. Eine Rose hat sie diesmal nicht dabei, dafür jede Menge Fragen, die durch ihren Kopf geistern. Hinterm Tresen steht ein junger Mann, der gerade die Espressomaschine bedient. Sie geht auf ihn zu.
»Entschuldigung, ich hätte mal eine Frage.«
»Ja, bitte?« Er lächelt sie an, während er Kakaopulver auf einen fertigen Cappuccino streut.
»Kennen Sie eine Elli?« Der Mann schüttelt den Kopf.
»Soll die hier arbeiten?«
»Nein«, sagt Marie. »Das heißt, ich glaube nicht. Aber es könnte sein, dass sie hier öfter Gast ist, oder so.«
»Ich bin erst seit zwei Monaten hier«, antwortet er und deutet mit dem Kopf in Richtung einer Kellnerin, die an einem Tisch neben dem Eingang steht und da gerade kassiert. »Fragen Sie mal Natalie, ihr gehört der Laden.«
»Danke.« Marie nickt ihm zu, dann geht sie zu der Frau, wartet, bis diese ihr Portemonnaie in den Bund ihrer Schürze gesteckt hat, und spricht sie dann an. Fragt, ob sie eine Elli kennt.
»Tut mir leid«, antwortet
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