Alles muss versteckt sein (German Edition)
Tatwaffe für ihn.«
»Aber nicht nur das«, schaltet Hannah sich wieder ein. Das Mädchen knibbelt konzentriert an einer Memory-Karte, wiegt nachdenklich den Kopf hin und her. »Wenn Felix darüber sogar einen Roman schreiben und veröffentlichen wollte … « Jetzt geht die Memory-Karte entzwei, Hannah wirft sie achtlos weg und nimmt sich eine neue. »Dann hat er sich das sicher alles ganz genau überlegt. Dann wird er behaupten, dass der Roman einzig und allein seiner Fantasie entsprungen ist, dass da nichts Wahres dran ist. Das muss er ja.«
Während Hannah ihre Überlegungen ausspricht, wird Marie klar, was die Worte ihrer Freundin bedeuten.
»Du hast recht«, sagt sie. »Er wird behaupten, dass das alles nur in seinem Kopf ist. Nur Gedanken, mehr nicht, erst recht kein Beweis. Natürlich total geschmacklos, so ein Buch zu schreiben – aber nicht verboten.«
»Ja, das habe ich auch sofort gedacht«, sagt Christopher. »Aber ich habe trotzdem die Polizei gerufen, und die Beamten waren in einer Viertelstunde da. Sie haben alles sichergestellt, nur meinen Ausdruck konnte ich rausschmuggeln.« Er grinst. »Eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch habe ich wohl am Hals, aber das ist egal.« Er guckt zufrieden in die Runde. »Wir kamen gerade alle aus dem Haus, als Felix mit seiner Schwester in seinem Sportwagen vorfuhr…« Er macht eine genüssliche Pause.
»Wie hat Felix reagiert?« Erneut sind Maries Nerven zum Zerreißen gespannt.
»Vermutlich war er zu überrascht, um überlegt zu handeln«, spricht er weiter. »Er hat mich und die Polizisten gesehen – und ist mit quietschenden Reifen davongerast.« Christopher klatscht vor Freude in beide Hände. »Das ist so gut wie ein Schuldeingeständnis!«
»Meinst du?« Marie ist skeptisch. Für so eine Reaktion kann es viele Erklärungen geben. Schreck, Panik, alles Mögliche. Warum soll ein Mann nicht im Reflex abhauen dürfen, wenn ihn vor der eigenen Haustür unverhofft Polizisten erwarten?
»Trotzdem ist es mehr als verdächtig.« Christopher sieht weiter optimistisch aus. »Die Fahndung nach Felix läuft jedenfalls, sie werden ihn schon kriegen.«
»Und dann?«
»Dann dürfen wir alle sehr gespannt sein, wie er das hier«, er deutet auf das Manuskript, »der Polizei erklärt. Und die Tatsache, dass er so fluchtartig abgehauen ist.«
Felix erklärt nichts mehr. Am nächsten Morgen – Marie hat in der Nacht kein Auge zugetan – holt Dr. Falkenhagen sie vom Frühstück ab und führt sie in sein Büro.
»Es ist vorbei«, eröffnet er das Gespräch, sobald sie an dem runden weißen Tisch Platz genommen haben. »Ich habe es eben gerade erfahren. Felix Gerlach ist tot.«
»Tot?«
Der Arzt nickt.
»Aber, aber … «, stottert Marie, die Nachricht trifft sie unvermittelt, sie weiß nicht, was sie sagen soll. Und auch nicht, was sie denken soll. »Ein Unfall?« Etwas anderes kommt ihr nicht in den Sinn. »Mit seinem Sportwagen?« Ein Film läuft in ihrem Inneren ab, das Auto mit überhöhter Geschwindigkeit, Felix, wie er das Lenkrad verreißt, aus Versehen, nicht absichtlich, wie Marie es oft tun wollte, er verliert die Kontrolle …
»Vermutlich Selbstmord«. Der Film stoppt. »Er hat sich nahe der dänischen Grenze heute Nacht vor einen Zug geworfen.«
»Sind Sie sicher?«, fragt Marie. »Dass es Selbstmord war?«
»Nein«, antwortet er. »Das nimmt man an, aber Genaueres weiß ich nicht, das werden wir abwarten müssen. Sicher ist nur, dass Felix nicht mehr lebt.«
»Und was ist mit Vera?«
»Auch das weiß ich nicht. Schon die Informationen, die ich jetzt habe, hätte man mir eigentlich gar nicht geben dürfen. Wir müssen abwarten und brauchen Geduld, bis sich alles klärt.«
Marie nickt. Sie sieht Jan Falkenhagen schweigend an. Er wirkt kraftlos, übermüdet – als hätte auch er die ganze Nacht kein Auge zugetan. Älter, viel älter sieht er aus als gestern noch, seine sonst so aufmerksamen Augen scheinen matt und trüb. Er fühlt mit mir, denkt Marie. Leidet genau so wie sie unter der Ungewissheit, ob das hier nun wirklich das Ende der Geschichte bedeutet. Und zum ersten Mal wird ihr richtig klar, was dieses Wort überhaupt bedeutet: Mit-Gefühl.
Diesmal ist es Marie, die ihre Hand auf seine legt. Sie tut es, ohne sich zu fragen, ob diese Geste unpassend oder anmaßend ist, ob sie ihn, ihren Arzt, überhaupt anfassen darf. Sie tut es einfach. Jan Falkenhagen erwidert den Druck ihrer Hand. Der matte Ausdruck weicht aus seinem Gesicht, an seine
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