Alles muss versteckt sein (German Edition)
Stelle tritt ein Lächeln. Ein zaghaftes, hoffnungsvolles Lächeln.
»Danke«, sagt Marie.
14
F rei … Sie ist frei. Wirklich und wahrhaftig frei!
Marie hockt auf einem Stuhl in ihrem Zimmer. In diesem Zimmer, das über drei Monate ihr Zuhause war. Und das sie die Hälfte dieser Zeit mit Hannah geteilt hat, die drüben auf ihrem Bett sitzt und Marie mit einer Mischung aus Freude und Traurigkeit betrachtet.
»Ist er gleich da?«
Marie nickt. »Ja. In einer Viertelstunde.« Sie lässt ihren Blick durch den halb leeren Raum wandern, ihre Sachen hat sie in die zwei großen Koffer gepackt, die schon draußen im Flur stehen. Direkt neben ihr auf dem Bett liegt ein Herz. Ein Herz aus Speckstein, Hannah hat es für sie gemacht und sie eben damit überrascht. Ein bisschen krumm und schief ist es, dieses Herz, aber Marie hat sich trotzdem darüber gefreut. Vielleicht, weil es zu ihr passt. Auch wenn sie jetzt frei ist, sie jetzt diese Hölle verlassen darf, ist da immer noch ein Schmerz in ihr, direkt in ihrer Brust. Weil sie Hannah zurücklassen muss? Oder weil Marie weiß, dass das Leben, das sie draußen erwartet, nie mehr so sein wird wie zuvor?
Nach erneuter Aufnahme des Verfahrens war die Verhandlung relativ kurz, denn es gab keinerlei Zweifel daran, dass nicht Marie, sondern Felix es getan hatte. Den eigenen Bruder ermordet, aus Neid und Habgier, verbunden mit dem perfiden Plan, alles einer Unschuldigen in die Schuhe zu schieben, sie zu missbrauchen und büßen zu lassen für einen Mord, den sie nicht begangen hatte. Und gleichzeitig die wahnsinnige Idee, diese Geschichte aufzuschreiben und damit den lang ersehnten Durchbruch als Schriftsteller zu schaffen.
Nur mit Christopher und der Polizei, mit denen hatte Felix nicht gerechnet und war in Panik geraten, als sie vor seiner Haustür standen, war mit Vera im Auto losgerast, einfach weg, irgendwohin. Kurz vor der dänischen Grenze hatte er seine Schwester aussteigen lassen und war weitergefahren. Für das, was dann geschah, gab es keine Zeugen, aber die Obduktion der Leiche hatte ergeben, dass Felix vor seinem Tod jede Menge Alkohol getrunken haben musste, mehr als 2,7 Promille hatte er im Blut. Irgendwann nachts war er auf diese Brücke gefahren. Auf die Brücke, von der er sich direkt vor einen Zug in den Tod gestürzt hatte.
Unter Tränen widerrief Vera vor Gericht ihre Aussage. Gab zu, dass das Alibi, dass sie ihrem Bruder gegeben hatte, falsch war, dass sie in der Tatnacht nicht nach ihm gesehen hatte, aber immer davon ausgegangen war, dass er betrunken in seinem Bett gelegen hätte. Sie hätte Felix nur beschützen wollen, weil er sie so sehr darum gebeten hatte. Aus Angst, der Verdacht hätte aus irgendeinem Grund auf ihn fallen können, auch wenn diese Angst ihrer Meinung nach vollkommen unbegründet gewesen war. Und da hätte sie es eben getan, hätte für ihn gelogen, ohne sich dabei etwas zu denken. So, wie Geschwister einander nun einmal beschützen und zusammenhalten. Aber niemals, das schwor sie bei ihrer Aussage, hätte sie vermutet, dass ihr Bruder so etwas getan haben könnte! Sie war sich ganz sicher gewesen, ganz sicher, dass Marie die Mörderin war. Schließlich hatte sie doch auch die Tonbandaufnahmen gehört!
Auch jetzt noch, wenn Marie darüber nachdenkt, kommt es ihr vor, als hätte sie das alles nur in einem Film gesehen und nicht am eigenen Leib erfahren. Wie krank konnte ein Mensch sein? Wie sehr von Hass und Wut erfüllt, dass er zu so etwas fähig war? Sie würde es nicht verstehen, nie würde sie das, auch wenn sie doch gerade hier so viele Menschen getroffen hatte, die als verrückt, als gemein und als gefährlich galten.
Auch ihre Mutter war bei der Verhandlung aufgetaucht. Hatte in der allerersten Reihe gesessen und diesmal nicht draußen vor der Tür geraucht, hatte beim Freispruch laut gejubelt und hinausgeschrien, dass sie es gewusst hätte! Gewusst , dass ihre Tochter keine Mörderin ist, nie hätte sie etwas anderes geglaubt, nicht eine einzige Sekunde lang! Das hatte Regina auch den Reportern erzählt, die vor dem Gerichtsgebäude bereits gewartet hatten. Nicht auf sie, sondern auf Marie und ihren Anwalt, auf die beiden hatten sie sich stürzen wollen.
Tagelang gab es in den Medien kein anderes Thema als diesen Fall, der die Auflagen der Zeitungen und die Einschaltquoten der TV -Boulevardmagazine in die Höhe trieb. Die Geschichte vom Brudermord mit einer Zwangserkrankten als vermeintliche Täterin, was für eine
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