Alles muss versteckt sein (German Edition)
aufgeräumt, ein schickes Apple-Notebook, ein paar Unterlagen, ein Stifthalter mit Kugelschreibern. So ordentlich und aufgeräumt wie Dr. Falkenhagen selbst, der noch immer entspannt auf seinem Stuhl sitzt. Was macht ihn so sicher, was macht ihn so verdammt sicher, dass Marie nicht total ausrasten wird? Dass sie nicht zu seinem Schreibtisch stürzen, einen Stift greifen und ihn niederstechen wird? Das wäre möglich mit einem Kugelschreiber, sicher wäre es das, Wut verleiht ungeahnte Kräfte. Was also macht ihn so sicher? Weshalb hat er keine Angst vor ihr, wo sie doch angeblich schon einmal jemanden getötet hat? Warum sitzt bei ihren Gesprächen kein Aufpasser mit dabei, wie bei Markus, dem charmanten Frauenmörder?
»Ich war es nicht.« Sie sagt es und begreift erst gar nicht, dass die Worte aus ihrem Mund kommen. Noch bevor sie den Satz wirklich gedacht hat, hat sie ihn schon ausgesprochen.
»Wie bitte?«
»Ich war es nicht«, wiederholt sie. »Ich war es nicht!« Noch einmal blickt Marie auf den Stifthalter. Als hätte jemand in ihr einen Schalter umgelegt, als hätte es lautlos irgendwo »klick« gemacht, breitet sich die Sicherheit in ihr aus. Nein, sie war es nicht. Genauso wenig, wie sie dazu fähig ist, einen Kugelschreiber zu nehmen und damit Jan Falkenhagen zu erstechen, hat sie Patrick etwas angetan. Die Gewissheit ist einfach da. Wie in Trance geht Marie zu ihrem Stuhl zurück und lässt sich darauf sinken. Da, wo eben noch Wut tobte, breitet sich ein anderes Gefühl in ihr aus: Erleichterung. Die Erleichterung, sich plötzlich ganz klar darüber zu sein. Klar darüber, dass sie das nicht getan hat, ganz egal, was die anderen behaupten.
»Sie sagen also, dass Sie Patrick Gerlach nicht umgebracht haben?« Jan Falkenhagen beugt sich zu ihr vor, jetzt wirkt er nicht mehr ruhig, sondern hoch konzentriert, angespannt.
»Nein. Das habe ich nicht. Ich habe es nicht getan!«
»Wieso glauben Sie das auf einmal?«
»Ich glaube es nicht, ich weiß es.«
»Können Sie sich nun doch an die Nacht erinnern, oder woher nehmen Sie sonst diese Gewissheit?«
»Woher weiß eine Mutter, dass sie ihr Kind liebt? Sie weiß es einfach.« Er lehnt sich wieder auf seinem Stuhl zurück, sieht Marie eine Weile nur nachdenklich an.
»Dann müsste es also tatsächlich ein anderer gewesen sein.«
Sie nickt. »Ja.«
»Wer?«
»Keine Ahnung.«
»Felix?«
»Möglich, ich weiß es nicht.« Und dann sagt sie: »Dr. Falkenhagen, bitte seien Sie ehrlich zu mir: Was glauben Sie wirklich? Dass ich es war oder nicht?«
Eine Ewigkeit vergeht, ehe der Arzt seinen Mund öffnet und spricht. »Nein. Ich glaube auch nicht mehr, dass Sie es getan haben. Das glaube ich sogar ganz sicher nicht.«
»Und jetzt?«, fragt sie. Zum ersten Mal sieht er ratlos aus.
»Sie können sich noch immer nicht erinnern.« Nachdenklich wiegt er den Kopf. »Und auch, wenn mein Gefühl mir etwas anderes sagt, die Beweislage ist dieselbe, und es gibt keinen Verdächtigen außer Ihnen. Ich kann Sie hier nicht einfach rausspazieren lassen, nur weil ich persönlich mehr als bezweifele, dass sie Patrick Gerlach getötet haben.«
»Zählt das denn nicht? Was Sie glauben?« Er schüttelt den Kopf.
»Ich könnte mich ja irren. Und es gibt auch keinen Grund, das Verfahren noch einmal neu aufzurollen.«
»Also kann ich nichts tun?«
»Ich fürchte, nein.«
»Was ist mit Felix? Wir könnten die Polizei benachrichtigen und sagen, dass wir ihn verdächtigen, mit dem Tod seines Bruders etwas zu tun zu haben.«
»Soweit ich weiß, hat er für die Tatzeit ein Alibi.« Dr. Falkenhagen blättert in seinem Notizbuch, in den vielen und langen Gesprächsprotokollen. »Was ist denn mit Ihrem Exmann?«
»Christopher?« Sie ist irritiert.
»Sie hatten einen neuen Partner«, erklärt der Arzt. »Eifersucht ist nicht selten ein Motiv, Rache ebenfalls. Erst den neuen Liebhaber töten, es gleichzeitig der Abtrünnigen in die Schuhe schieben und sich dann als heldenhaften Retter zeigen – das wäre perfekt!«
»Nein, das ist nicht perfekt, sondern völlig absurd!«, sagt Marie.
Jan Falkenhagen wippt mit den Füßen, dann schüttelt er den Kopf. »Sie haben recht, es ist absurd.« Er sieht sie entschuldigend an. »Manchmal geht auch einem Psychiater die Fantasie durch.«
Marie überlegt. »Es müsste also neue Beweise geben.«
»Ja, natürlich. Ohne neue Beweise bleiben Sie die Täterin.«
»Christopher«, sagt sie, verstummt dann aber.
»Christopher, was?«
»Na
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