Alles nicht so einfach
seine Stiefmutter nie gemocht. Er wusste nicht, dass sie ihn schlecht behandelt hatte, um leichter Abstand zu ihm wahren zu können, denn sie hatte ihn schon vor Theseus’ angeblichem Tod geliebt.
Der Abschnitt über Theseus’ Tod lief gut, aber ich hatte noch nicht mal die Hälfte des Monologs gehalten, in dem ich meine Gefühle offenbare, als Eric aus dem Zuschauerraum auf die Bühne kam. »Stopp, stopp. Cade, was soll das?«
Cade wirkte wie betäubt, er sah aus, als müsste er sich gleich übergeben. »Wie bitte?«
»Du verachtest sie. Als dir dämmert, was für Gefühle sie für dich hegt, solltest du entsetzt sein, angewidert, zornig sogar.«
»Natürlich, Sir.«
»Warum siehst du dann aus wie ein liebeskranker Welpe, der ihre Gefühle erwidert?«
Als würde ich in dieser Aufführung nicht schon genug Schuldgefühle kanalisieren – jetzt spürte ich, wie das Gewicht meiner eigenen Schuld noch hinzukam. Das war meine Schuld. Hier ging es nicht um das Stück. Es ging um mich. Cade hatte seine Gefühle so lange unter Verschluss gehalten, aber ich hatte gemerkt, dass sie seit dieser Party, seit ich ihn geküsst hatte, viel näher an der Oberfläche waren. Er hatte sich in seine Hoffnung vollständig eingehüllt wie in einen Wintermantel.
Ich blickte ihn nicht an, als er und Eric miteinander redeten, weil ich befürchtete, dass sich Mitleid in meinem Gesicht widerspiegeln würde. Er würde es hassen, wenn er das sehen würde. Deshalb sah ich stattdessen Garrick an. Sein Gesicht wirkte abgespannt. Obwohl er fast fünf Meter von mir entfernt war, hatte ich das Gefühl, als würde ich ihn aus weiter Ferne betrachten. Er erwiderte meinen Blick nur einen kurzen Moment lang, dann schaute er Cade an und sein Gesicht wurde noch finsterer. Ein paar Sekunden später trafen sich unsere Blicke erneut, und er starrte mich an. Etwas anderes lag jetzt in seinem Blick, etwas hatte sich verändert – etwas, das mein Herz schneller schlagen ließ. Die winzigen Härchen auf meiner Haut richteten sich prickelnd auf.
Cade und ich beendeten unsere Szene ohne weiteren Zwischenfall. Es war nicht seine stärkste Darbietung, aber ich fand, dass sie bisher noch immer die beste war. Obwohl ich ziemlich befangen war. Eigentlich hätte ich mich darüber freuen sollen, dass es meinem Freund schwerfiel, auch nur so zu tun, als würde er mich verachten. Aber in meinem Hinterkopf hatte sich ein Gedanke eingenistet, der sich trotz meiner Anstrengungen, ihn beiseitezuschieben, immer tiefer verwurzelte.
Wenn er den wirklichen Grund wüsste, weshalb ich »vielleicht« gesagt hatte … wenn er wüsste, was uns getrennt hält … dann hätte er wahrscheinlich kein Problem damit, mich zu verachten.
Beim nächsten Vorsprechen war ich ein wenig unkonzentriert. So sehr, dass Eric fand, dass es Zeit für mich wäre, eine Pause zu machen. Da ich wirklich dringend frische Luft brauchte, schlüpfte ich durch den Notausgang (der nie durch einen Alarm gesichert war), und ich wusste schon bevor ich die Tür hinter mir knarren hörte, dass Garrick mir folgte.
»Du machst das gut«, sagte er.
Ich atmete rasch aus. Es hätte ein Lachen sein können, wenn ich mehr Energie gehabt hätte. »Klar, deshalb bist du auch hier draußen und versuchst zu erreichen, dass ich mich besser fühle.«
»Meine Gründe, hier draußen zu sein, sind absolut egoistischer Natur.«
Ich dachte immer, ich würde mich an die Art und Weise gewöhnen, wie er Dinge sagte, an seine Direktheit. Ich schaffte es nicht. »Du hattest recht. Du benimmst dich tatsächlich wie ein richtiger Mistkerl.«
Das bisschen Nachdruck, das in meinen Worten steckte, verpuffte, als er anfing zu grinsen.
Er trat an meine Seite und starrte auf einen entfernten Punkt auf dem Campus. »Ich glaube immer noch, dass dieses Stück ein Zeichen ist. Es ähnelt so sehr unserer Situation.«
»Bin ich die von Lust erfüllte Mutter in dieser Situation oder bist du das?«
Er wandte sich wieder mir zu, und sein Blick wanderte tastend und suchend über die Kurven und Linien meines Körpers. »Oh, das bin definitiv ich«, antwortete er. »Phädra betont immer, dass sie selbstsüchtig sei. Dass sie sich dafür hasst, aber dass sie es trotzdem sei. Sie kann sich selbst nicht verweigern, was sie will, auch wenn das ihr Untergang ist, und seiner auch.«
»Und, hast du von deinem literarischen Pendant irgendetwas gelernt?«
»Eigentlich nicht. Ich denke die ganze Zeit, dass sie es noch mal tun würde, wenn sie die
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