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Alles nicht so einfach

Alles nicht so einfach

Titel: Alles nicht so einfach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cora Carmack
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hyperbewusst. Selbst wenn ich mehrere Reihen von ihm wegrücken würde, würde ich es bestimmt jedes Mal merken, wenn er sich bewegte, atmete oder mich anblickte.
    Das kleine Buch fühlte sich gut an in meiner Hand, es war noch warm von Erics Händen, und ich musste den Impuls unterdrücken, sofort über die Worte nachzugrübeln, um mich von Garrick abzulenken. Die Inspizientin, Alyssa, die ein Jahr jünger war als ich, kam herein und verkündete, dass alles bereit wäre, wenn Eric auch bereit war.
    Er gab ihr sein Okay, indem er ihr zunickte, dann wandte er sich an mich. »Bliss, wir fangen mit Hippolyt an. Ich lasse sie ihre Monologe noch mal vortragen, danach kommst du ins Spiel. Halt dich an das, was du in deinem Monolog schon gemacht hast. Übernimm den Gegenpart – du willst ihn, aber deine Scham, deine Angst stellen Hindernisse dar.«
    Ich warf einen Blick auf Garrick. Das sollte einfach werden.
    Alyssa kam herein, gefolgt von Jeremy, der ruhig hinter ihr herging. Sie nahm am Technikpult Platz, und er stellte sich auf die Bühne, die Schultern durchgedrückt, das Kinn erhoben.
    Er sah gut aus. Stolz blickte ich ihn an, unseren kleinen Frischling aus dem zweiten Jahr.
    »Hi, Jeremy. Ich möchte, dass du erst mal deinen Monolog noch mal vorträgst, nur um reinzukommen. Dann schauen wir mal, wie du mit Bliss harmonierst.«
    Jeremy räusperte sich. Hielt einen Moment inne.
    Ich mochte diesen Augenblick davor. Er stellte den Höhepunkt aller Erwartungen und Hoffnungen dar. Es war, als würde man sich gleich von einer Klippe stürzen und wissen, dass das, was danach kommen würde erschreckend und zugleich schön und der Sinn des Lebens sein würde. Dieser Moment machte … süchtig.
    Ich bin zu weit gegangen.
    Zu mächtig wird es mir.
    Es lag Verzweiflung in Jeremys Darbietung, als er anfing, aber er klang jung. Er sah jung aus. Wenn er sprach, brachen seine Worte und seine Gefühle aus ihm heraus. Als er an die Stelle kam, in der er Aricia seine Liebe gesteht, war er nicht mehr zu halten.
    Die freie stolze Seele, sie empfindet.
    Sechs Monde trag’ ich schon, gequält, zerrissen
    Von Scham und Schmerz, den Pfeil in meinem Herzen.
    Umsonst bekämpf’ ich dich, bekämpf’ ich mich …
    Erst jetzt merkte ich, dass sowohl Hippolyt als auch Phädra verliebt waren und sich dafür schämten – Phädra schämte sich dafür, wen sie liebte, und Hippolyt dafür, dass er überhaupt liebte. Ich erkannte die Scham in Jeremys Darbietung, eine Scham, die ihn auffraß, und ich fragte mich, ob ich bei meinem Vorsprechen genauso gewirkt hatte … ob ich jedes Mal, wenn ich an Garrick dachte, so aussah.
    Dich flieh’ ich, wo du bist; dich find’ ich, wo du fehlst.
    Garricks Blick ruhte auf Jeremy. Gelegentlich sah er in seine Notizen auf dem Block, den er auf seinem Schoß festhielt. Diese letzte Zeile blieb mir im Gedächtnis haften wie Musik, eine Melodie, die sich festsetzte und einen nicht mehr losließ.
    Dich floh ich, wo du warst. Aber wie weit ich mich auch von ihm entfernte, alles lief immer wieder auf ihn hinaus.
    Eric stand von seinem Platz auf und sagte: »Gut. Gut. Und jetzt mal mit Bliss.«
    Ich riss meinen Blick von Garrick los und tastete nach dem Textbuch. Dann ging ich auf die Bühne zu, meine Knie waren ein wenig weich und meine Füße fühlten sich irgendwie taub an.
    So sehr ich Jeremy auch mochte, mir war schon nach wenigen Minuten klar, dass er kein Hippolyt war. Erstens war er nicht der heldenhafte junge Mann, der Phädras Herz erobern konnte. Er war eher noch ein Junge. Er hatte zwar die notwendige Leidenschaft, aber selbst die reichte nicht immer aus.
    Wir schauten uns noch zwei weitere Jungs an, denen das gewisse Etwas fehlte – sie hatten beide zu wenig Selbstbewusstsein. Diese Castings waren schnell vorbei. Dann war Cade an der Reihe.
    Ich hatte immer geglaubt, dass Cades größter Vorzug seine Stimme wäre. Auf der Bühne nahm sie immer diese dröhnende Tiefe an, wodurch sie bei jeder Lautstärke kraftvoll war. Und für ein Stück, bei dem der Text und die Lyrik der Verse so wichtig waren, war seine Stimme perfekt. Erics Gesichtsausdruck zu durchschauen war immer schwierig, aber bei Cade wirkte er definitiv glücklicher als bei den vorherigen Vorsprechern.
    Alles ging in die Binsen, als Cade und ich zusammen auf der Bühne standen. Wir sprachen die Szene, in der Phädra Hippolyt ihre Gefühle gesteht. Sie sprachen über den Tod von Theseus – Phädras Gatten und Hippolyts Vater. Hippolyt hatte

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