Alles nicht so einfach
rennen.
Aber ich tat es trotzdem.
Glücklicherweise unterhielt er sich nicht gerade mit jemandem, sondern schaute nur etwas auf seinem Handy nach. Ich blieb ein paar Sekunden hinter ihm stehen. Allein die Tatsache, dass ich ihm so nah war, beeinflusste mich. Eigentlich war es wie ein Gefängnis. Ich atmete Garricks Duft ein und spürte, wie dadurch die Schutzmauern, die ich errichtet hatte, zusammenbrachen.
Ich weiß nicht, ob ich einen Laut von mir gegeben oder ob er meine Anwesenheit gespürt hatte, aber er drehte sich auf einmal um und sah mich an. Den Bruchteil einer Sekunde lang glaubte ich, er würde lächeln. Dann änderte sich sein Gesichtsausdruck, er wurde wachsam. Als würde er mir nicht trauen. Dann wurde sein Gesicht ausdruckslos.
All diese Gefühle und Erinnerungen stießen jetzt gegen meine Barrikaden und versuchten, nach draußen zu gelangen. Er sah aus, als wäre ihm das völlig egal.
Ich wollte es einfach ausspucken und davonlaufen, doch ich wusste, dass das keine gute Idee war. Es ist ja nicht gerade eine normale Situation, wenn man seinem Dozenten mitteilen muss, dass man ihn möglicherweise mit dem Pfeifferschen Drüsenfieber angesteckt hat.
»Können wir reden … unter vier Augen?«, fragte ich.
Er sah sich im Raum um, und ich konnte mir vorstellen, wohin sein Blick wanderte. Zu Eric wahrscheinlich. Vielleicht auch zu Cade. Oder Dom. Wohin auch immer er schaute, er konzentrierte sich auch weiterhin darauf und sagte: »Ich glaube, das ist keine gute Idee, Bliss.«
Oh, die guten Ideen waren mir schon seit geraumer Zeit ausgegangen.
»Es wird nicht lang dauern«, versicherte ich ihm.
Endlich sah er mich an. Ich wollte glauben, dass ich eine gewisse Zärtlichkeit in seinen Augen entdeckte, aber das konnte ich mir auch eingebildet haben. Das machte ich andauernd. Ich brauchte nur die Augen zu schließen, und schon konnte ich vor mir sehen, wie er auf mich zukam, seine Lippen nur Millimeter von meinen entfernt. Doch dann schlug ich die Augen wieder auf und jedes Mal … jedes Mal war es nicht real.
Jemand legte seine Hand auf meine Schulter und zog mich in eine Umarmung. Es war Eric. Er fing an, über Proben und Kostüme und die Ferien und all die Dinge zu reden, für die es in meinem Kopf momentan keinen Platz gab.
Ich sah Garrick an, der seinen Chef anlächelte. Es war ein angespanntes Lächeln mit geschlossenen Lippen. Wann hatte ich zum letzten Mal dieses umwerfende Grinsen gesehen?
Vielleicht brauchte ich es ihm gar nicht zu sagen. Ich meine, ich war ja noch nicht mal krank.
Es war auch nicht so, dass er mit jemand anderem von der Party damals herumgemacht hätte (das hoffte ich zumindest). Und wenn ich nicht krank würde, dann brauchte er nie davon zu erfahren. Außerdem wollte er ja eindeutig vergessen, dass unser kleines Techtelmechtel je passiert war. Er hatte sogar davon gesprochen, den Job zu wechseln, verdammt noch mal. Und seitdem hatte ich darauf geachtet, ihn nicht zu lang anzuschauen oder zu dicht neben ihm zu stehen oder ihm sonst einen Hinweis darauf zu geben, dass ich nicht ebenso über diese Sache hinweggekommen war wie er. Denn so schlimm das alles auch war – es wäre noch weit schlimmer, wenn er ganz weg wäre.
Ja, ich würde es ihm sagen, wenn ich musste. Nicht nötig, darüber zu reden, wenn es eigentlich gar kein Problem gab.
Ich entschuldigte mich und verabschiedete mich von Garrick und Eric. Danach wahrte ich weiterhin den Schein. Wenigstens konnte ich hier meine Ausbildung einsetzen, wer weiß, ob ich später noch etwas damit anfangen konnte. Wenigstens hatte ich gelernt zu lügen.
Als ich am letzten Tag vor den Ferien aufwachte, war ich erschöpft und zog mir trotz des texanischen Frühlings einen Pullover an, um in Garricks Unterricht zu gehen. Eigentlich war ziemlich klar, was los war, zumindest hätte es klar sein sollen, aber ich war so damit beschäftigt, den Tag zu überleben und bis zu den Ferien durchzuhalten, dass ich mein Unbehagen beiseiteschob.
Garrick ließ uns zwar früher gehen, sagte aber: »Leute, tut mir leid, dass ich euch Hausaufgaben über die Ferien aufgebe, aber wenn ihr wieder zurückkommt, möchte ich einen endgültigen Plan für den dreiundzwanzigsten Mai. Für diejenigen, die nicht in ihren Kalender schauen – das ist der Tag nach eurem Abschluss.«
Hinter mir kicherte Dom. »Gilt immer noch betrunken sein als endgültiger Plan?«
Ich hatte nicht mal die Energie, die Augen zu verdrehen.
»Einige von euch sehe ich noch
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