Alles nicht so einfach
hineinziehen.«
Er legte den Stift weg, mit dem er herumgespielt hatte, und machte Anstalten aufzustehen. »Bliss …«
Was immer er sagen wollte – ich konnte es mir nicht anhören. Wenn ich ihm zuhören musste, wenn er versuchte, mich möglichst sanft fallen zu lassen (wo ich doch wusste, dass es ihm egal war), dann würde ich am Ende weinen und mich total lächerlich machen. Deshalb schnitt ich ihm das Wort ab. »Schon gut. Ich bin darüber hinweg. Keine große Sache, stimmt’s?«
Er schwieg, und ich war mir sicher, er wusste, dass das gelogen war. Ich war mir sicher, dass er sehen konnte, wie sich mein Magen verknotete, wie sich mein Herz zusammenzog. Ich wollte unbedingt, dass er mir glaubte.
»Mir geht es gut. Ich bin darüber hinweg. Alles okay. Okay. Okay.«
»Gut«, sagte er schließlich.
Gierig holte ich Luft.
»Großartig. Danke, dass du dir Zeit für mich genommen hast. Einen schönen Tag noch!« Und schon war ich zur Tür hinaus und rannte, rannte, rannte die Treppe hinunter und hinaus an die frische Luft, wo ich nach Atem ringen und meine Lungen füllen konnte, bis mir nicht mehr nach Weinen zumute war.
Von da an errichtete ich mit meinem Lächeln Mauern um mich herum und schottete mich durch Lachen ab. Ich versöhnte mich wieder mit Kelsey und versprach ihr, mit ihr tanzen zu gehen, wann immer sie wollte. Ich stürzte mich auf die Proben und konnte schon eine Woche, bevor wir ohne Drehbuch probten, meinen ganzen Text auswendig. Ich zwang mich dazu, zu marschieren wie ein Soldat, bewegte mich vorwärts, ohne zurückzuschauen. Eric lobte mich in den Proben; er sagte, er könne in jedem meiner Worte meine Scham und meinen Selbsthass spüren – er könne sie sogar an meiner Körperhaltung ablesen. Ich lächelte und tat so, als würde ich mich darüber freuen.
Ich sehnte meinen Abschluss herbei. Danach konnte ich weg von hier und weiß Gott wohin gehen. Vielleicht würde ich meine Kreditkarte ausschöpfen und mit Kelsey reisen. Vielleicht würde ich nach Hause zurückkehren, arbeiten und Geld sparen. Mom würde das
sehr
gefallen. Vielleicht würde ich auch hierbleiben und einen Job als Verkäuferin oder so suchen. Ich musste nur das Ende erreichen. Dann würde alles einfacher werden. Dann … würde ich mich damit befassen. Ich würde Kelsey alles erzählen, und wir würden den Schmerz durch Partys vertreiben. Später.
Ich konnte kaum erwarten, bis es
später
war.
Es schien möglich. Es schien machbar zu sein.
Bis das Jetzt alles zunichtemachte.
Noch eine Woche bis zu den dringend benötigten Ferien im Frühjahr. Am Freitagnachmittag versammelten wir uns alle im kleinen Theater für die Regie-Workshops. Der gesamte Fachbereich hatte sich im Theaterraum versammelt – die Anfänger unter den Regisseuren waren wie gelähmt, während alle anderen irgendwo zwischen Langeweile und sadistischer Schadenfreude schwebten.
Ich ließ es einfach über mich ergehen und war ganz erpicht darauf, dass die Zeit verstrich. Bis Rusty vor der ersten Szene aufstand, um eine Ankündigung zu machen.
Er räusperte sich und wirkte für Rustys Verhältnisse bemerkenswert ernst. »Also, ich war gestern beim Arzt.«
»Bist du schwanger?«, rief jemand von hinten.
»Nein«, sagte er mit einem Lächeln, das eher schmal ausfiel. »Um ehrlich zu sein … ich habe Pfeiffersches Drüsenfieber.«
Es dauerte einen Moment, bis das richtig durchsickerte.
»Der Arzt sagt, dass die Inkubationszeit irgendwo zwischen vier und acht Wochen liegt, was bedeutet, dass ich es vielleicht schon im Januar oder Februar gehabt habe. Deshalb … trinkt lieber nicht zusammen aus einem Glas und … anderes.«
Januar oder Februar. Die Party. Ich hatte Rusty auf dieser Party geküsst. Wir hatten alle … jeden geküsst.
Instinktiv suchte mein Blick alle, die damals beim Flaschendrehen mitgemacht hatten. Ihre Gesichter waren genauso besorgt und ängstlich wie meins. Wenn Rusty damals schon ansteckend gewesen war, hieß das, dass ich es hatte, ebenso Cade, Kelsey, Victoria und alle anderen von der Party.
Und Garrick auch.
Verdammt.
23
Ich holte ihn ein, sobald die Szenen vorbei waren. Noch immer liefen verkleidete Schauspieler herum. Dozenten gratulierten ihren Studenten, und alle steuerten ihre jeweilige Clique an, um Pläne für das Wochenende zu schmieden. Alle anderen schienen gelassen und glücklich zu sein, nur ich fühlte mich, als würde die Welt untergehen. Auf Garrick zuzugehen fühlte sich an, als würde ich in mein Verderben
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