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Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)

Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)

Titel: Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Beavan
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hätte ich das Entscheidende an der ganzen Sache nicht begriffen. »Weil ich Kühe liebe.«
     
    Einmal traf ich unten auf der Straße unsere Freundin Michelle, die manchmal auf Isabella aufpasst. Sie kam mit rauf, und ich gab ihr einen Teller Suppe.
    Ich weiß, wie es ist, auf der Suche nach einer Mahlzeit in New York herumzulaufen. Ich hatte oft den Eindruck, dass es nicht das Essen war, wonach ich suchte, sondern die Gesellschaft von Menschen, die ich mochte. Und es war ein schönes Gefühl, das jetzt unserer Freundin Michelle geben zu können.
    Meine Frau und ich hatten unseren Freunden gesagt, sie könnten gern jederzeit zum Abendessen vorbeikommen, auch wenn sie hinterher noch etwas vorhatten. Und sie kamen. Ich machte Frittata oder Rührei für sie oder manchmal auch nur überbackenen Käse und Sauerkraut. Unser Essen war nicht kompliziert.
    Freunde kamen, und wir aßen und unterhielten uns, und manchmal änderten sie dann ihre Pläne und blieben einfach da. Wir spielten Scrabble oder Scharaden, wenn wir genug Leute waren, und wir lachten, bis uns die Tränenüber die Wangen liefen. Unser Lebensrhythmus begann sich zu verändern.
    Er wurde nicht mehr von elektronischer Unterhaltung bestimmt, sondern von selbst gekochten Mahlzeiten, auch wenn wir keine Fünf-Sterne-Menüs zauberten. Das Wesentliche war, dass jetzt der Küchentisch das Zentrum unseres Lebens bildete, nicht mehr der Fernseher. Und dass unsere Wohnung nicht mehr nur eine Wohnung war, sondern ein Zuhause.
    Ja, gelegentlich vermissten wir die nicht jahreszeitgemäßen Erdbeeren und den nicht regional erzeugten Balsamico-Essig, und wir fürchteten uns vor dem Tag, an dem unser Vorrat an nicht regionalem Salz zu Ende gehen würde. Trotzdem genoss ich das geradezu mütterliche Gefühl, meine Freunde zu bekochen. Es machte mir Spaß, den Gastgeber zu spielen und zu sehen, dass die Menschen sich bei uns wohlfühlten.
    Ich glaube, niemand mag die Hektik, in der wir die meiste Zeit leben. Zumindest für dieses eine Jahr waren meine Familie und ich aus dem Hamsterrad ausgestiegen. Ob das der Grund war, weshalb wir plötzlich so viel Besuch bekamen?
     
    Ich fuhr mit Isabella über die Brooklyn Bridge. Auf einmal bat sie mich anzuhalten und schaute mit großen Augen um sich. Auf die Häuser. Auf den Fluss. Auf die Boote. Am nächsten Tag sagte sie: »Noch mal zur Brücke, Daddy!«
     
    Eines Abends telefonierte ich mit meinem Freund Tanner. Kaum hatte ich aufgelegt, löcherte Michelle mich wegen seiner Frau. Ob er wütend sei, dass sie wieder angefangen hatte zu rauchen? Ob er sich Sorgen mache? Was sie tun wollten? Freunde und gemeinsame Mahlzeiten und Scharaden waren wunderbar, aber Michelle brauchte ein bisschen Aufregung, ein paar Skandale. Ich hörte, wie sie mit ihren Freundinnen telefonierte. Sie fragte sie nach ihren Beziehungen aus, versuchte, ein paar Leichen in ihren Kellern aufzustöbern.
     
    Noch etwas Seltsames: Eines Tages stand Michelle mit ein paar bunten Textmarkern vor mir und sagte: »Ich will auf die Wände schreiben.«
    »Was?«
    »Ich will auf die Wände schreiben.«
    »Wozu?«
    »Einfach so«, sagte sie. »Mir ist danach.«
    »Aber mir nicht.«
    »Das ist ungerecht. Wieso triffst du alle Entscheidungen bei diesem Projekt?«
    »Bei dem Projekt geht es darum, umweltschonend zu leben, nicht, die Wände zu bekritzeln.«
    »Nein«, widersprach Michelle. »Bei dem Projekt geht es darum herauszufinden, wie wir leben wollen. Es geht darum, unseren Lebensstil auf den Prüfstand zu stellen, und ich will ausprobieren, wie es ist, auf die Wände zu schreiben.«
    Ich überlegte einen Moment. »Könntest du dich dabei vielleicht erst mal auf das Badezimmer beschränken?«
    »In Ordnung.«
    Sie verschwand im Bad und schrieb: »Sonnenlicht ist das beste Desinfektionsmittel.« Das war ein Zitat von Louis Brandeis, einstigem Richter am Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Michelle bezog sich damit auf die Fadenscheinigkeit der Anklage, die einer ihrer Informanten gegen sie angestrengt hatte. Sie meinte, wenn die Wahrheit ans Licht kommt, verschwindet der Gestank. Sie schrieb noch einige andere Sätze in verschiedenen Farben.
    Eine Weile später lagen wir auf dem Sofa, und ich fragte sie: »Was ist los mit dir? Was hat das alles zu bedeuten?«
    »Ohne Fernseher muss ich mir meine Unterhaltung halt anderswo suchen«, erwiderte Michelle etwas flapsig, doch das allein war es nicht. »Es macht angst, eine lebendige eigene Phantasie zu haben«,

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