Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)
meiner Recherchen über Wirtschaft und Lebensqualität las ich in der
New York Times
einen Artikel über die Unzufriedenheit der Silicon-Valley-Millionäre. Wie die
Times
berichtete, machten sich viele von ihnen schreckliche Sorgen, dass sie immer noch nicht genug besaßen, und arbeiteten noch härter, um dieses Ziel eines Tages zu erreichen.
Wenn man mit seinem Blog auf Platz 2000 der weltweiten Rangliste steht und nicht glücklich ist, redet man sich ein, dass man glücklich sein wird, wenn man Platz 1000 erreicht hat. Wenn man ein Silicon-Valley-Millionär und nicht glücklich ist, redet man sich ein, dass man nur weiterschuften muss, bis man Milliardär ist.
Ich habe mal eine Geschichte von einem japanischen Zen-Meister gelesen, der in Minneapolis einen Tempel gegründet hatte. Soweit ich mich entsinne, war er schon sehr alt und krank und unterrichtete nur noch bei besonderen Anlässen.
Bei einem Fest im Tempel sollte der Zen-Meister zu den Gästen sprechen, doch als der verabredete Zeitpunkt kam, war er nirgends zu finden. Einige Zeit später öffnete sich plötzlich die Tür zum Meditationsraum, und der Zen-Meister schleppte sich mühsam in die Mitte des Raumes.
Dort angekommen, räusperte er sich, sagte einen einzigen Satz und humpelte wieder hinaus. Der Satz, den er zu den vielen Gästen sagte, die herbeigekommen waren, um seiner Weisheit zu lauschen, lautete: »Bald sind wir alle tot.«
Im August 2006, in dem Sommer, bevor das Projekt begann, waren Michelle, Isabelle und ich in der Toskana. Als wir Richtung Siena fuhren, fing Isabella, die damals acht Monate alt war, plötzlich an zu speien wie ein Vulkan. Sobald wir Sienas alte Stadtmauern passiert hatten, parkten wir das Auto und holten Isabella aus ihrem Kindersitz.
Plötzlich ertönte ein blubberndes Geräusch aus der Richtung ihrer unteren Hälfte, und wir stellten fest, dass sie auch noch Durchfall hatte. Wie findet man in Italien einen Arzt, wenn man kein Italienisch kann?
Auf einmal sackte Isabellas Kopf zur Seite. Sie war bewusstlos. Das Speien und der Durchfall gingen aber weiter. Michelle sprang auf die Straße und zerrte eine junge Frau buchstäblich von ihrer Vespa. »Einen Krankenwagen!«, schrie sie. »Mein Kind!«
Weder Michelle noch ich sprachen darüber, aber der Geist meines kleinen Bruders, der im gleichen Alter gestorben war, schwebte wie ein Menetekel über uns. Abergläubisch hatten wir beide die Tage gezählt, bis Isabella die acht Monate überstanden haben würde und wir erleichtert aufatmen konnten. Wo zum Teufel blieb der Krankenwagen?
Ich fing an, Isabellas Namen zu rufen. Irgendwie bildete ich mir ein, ich könnte sie dadurch aus ihrer Bewusstlosigkeit holen. Doch nichts passierte. In meiner Panik biss ich sie ins Bein, und zwar kräftig. Isabella stieß einen Schrei aus und hob den Kopf, sackte jedoch sofort wieder in sich zusammen. Ich biss sie erneut, obwohl ich wusste, dass die Ärzte im Krankenhaus nach den Zahnabdrücken fragen würden.
Unter lautem Sirenengeheul kam endlich der Krankenwagen. Unsere Kleine wurde auf die Liege verfrachtet, nackt und die Arme zur Seite gestreckt wie eine Gekreuzigte. Ausdem Augenwinkel sah ich, wie ein Sanitäter Michelle auf den Beifahrersitz half. Offenbar befürchteten sie, dass sie ohnmächtig werden könnte.
Das war’s, sagte mir mein Geist. Ich lasse mir nicht in einem Leben zwei Babys wegnehmen. Wenn Isabella geht, gehe ich auch. Mein Geist bereitete sich darauf vor, von einer Klippe zu springen. Er sagte mir, auch wenn mein Körper weiterlebte,
er
würde es nicht tun. Dafür lohnte es sich nicht weiterzumachen.
Konzentrier dich, ermahnte ich mich. Reiß dich zusammen.
Wir setzten uns in Bewegung. Ich hatte Mühe mich festzuhalten, als wir durch die gewundenen alten Straßen rasten. Nie wieder würde ich den Klang eines europäischen Rettungswagens hören können, ohne dass sich mir alles zusammenzog. Isabellas Haut wirkte mittlerweile grau, und ihr normalerweise pralles Bäuchlein war eingesunken.
»Sie atmet nicht!«, brüllte ich.
»Doch, sie atmet«, sagte die Kinderärztin, die mir gegenübersaß, und sah mir fest in die Augen. Als wir am Notfalleingang des Krankenhauses ankamen, machten sich sofort ein halbes Dutzend Ärzte und Schwestern an Isabellas winzigem Körper zu schaffen.
»Wir machen eine MRT«, sagte einer der Ärzte zu uns. »Um sicherzugehen, dass es keine neurologische Störung ist.«
Michelle und ich knieten auf dem Fußboden und beteten, zu
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