Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)
keiner von ihnen käme auf die Idee, die Abkehr vom Strom zu empfehlen, um in den Genuss des »zweiten Schlafs« zu kommen.
Aber schließlich ging es mir bei meinem Projekt nicht um die Meinung der Leute, sondern darum, der Umwelt so wenig zu schaden wie nur möglich. Dennoch musste ich mich der Frage stellen, ob meine Herangehensweise sinnvoll war. Vielleicht musste ich nuancierter vorgehen.
Michelle nahm das mit dem Stromabschalten erstaunlich gelassen.
»Das kriegen wir schon hin«, meinte sie. »Von mir aus können wir heute damit anfangen.«
»Macht dir das keine Angst?«
»Der Fernseher ist weg, und Shoppen ist auch nicht mehr angesagt. Was habe ich denn noch zu verlieren? Außerdem habe ich dann eine erstklassige Ausrede, um nur noch auf dem Sofa zu liegen und bei Kerzenschein zu lesen.«
Irgendwie schien sie es zu genießen, dass wir an einem Punkt angekommen waren, wo ich mit dem Projekt größere Schwierigkeiten hatte als sie.
Apropos Kerzen – die mussten natürlich aus Bienenwachs sein, denn Paraffinkerzen waren aus Erdöl hergestellt, was beim Verbrennen wiederum Kohlendioxid freisetzte.
»Entspann dich«, sagte Michelle. »Es gibt bestimmt etwas daraus zu lernen. Und darum geht es doch, oder? Es ist ein Experiment. Ein Versuch.«
»Was soll man denn dabei lernen, wenn man im Dunkeln hockt?«, fragte ich. »Du bist doch fein raus. Du gehst jeden Tag in dein Büro, wo du eine Klimaanlage und eine Steckdose für deinen Computer hast. Ich muss nun mal ab und zu von zu Hause arbeiten. Wie soll ich da meinen Computer zum Laufen kriegen? Und was machen wir mit den Lebensmitteln, die gekühlt werden müssen, der Wäsche und der Hitze?«
»Dir wird schon was einfallen«, sagte Michelle.
Sollte heißen: Du hast uns die Suppe eingebrockt, jetzt löffel sie auch aus.
Was ich mir einfallen lassen musste, war Folgendes:
eine Kühlmethode für Isabellas Milch, damit sie nicht schlecht wurde;
eine Stromquelle, die uns zumindest ein Minimum an künstlicher Beleuchtung ermöglichte;
eine Form der Kühlung, um stickig-heiße Sommertage durchzustehen;
eine Stromquelle für meinen Laptop und die Internetverbindung, damit ich meinen Blog weiterführen, recherchierenund schreiben konnte (zumindest in den Zeiten, in denen ich nicht im Writers Room war);
eine Möglichkeit, die Wäsche auch ohne Waschmaschine und Trockner sauber zu kriegen.
Ich will ja nichts vorwegnehmen, aber für den Fall, dass Sie die Vorstellung albern finden, man könne irgendetwas daraus lernen, wenn man den Strom abstellt, möchte ich darauf hinweisen, dass 1,6 Milliarden Menschen – also ein Viertel der Weltbevölkerung – nach wie vor ohne Strom auskommen müssen. Und vergessen Sie auch nicht, dass fehlender Stromanschluss meist mit Armut, Krankheit und mangelnder Trinkwasserversorgung einhergeht.
Überall auf der Welt müssen Familien, die keinen Strom haben, täglich eine Lösung für folgende Probleme finden:
eine Kühlmethode für die Milch ihrer Kinder, damit sie nicht schlecht wird;
eine Stromquelle, die ihnen zumindest ein Minimum an künstlicher Beleuchtung ermöglicht;
eine Form der Kühlung, um stickig-heiße Sommertage durchzustehen;
eine Stromquelle für einen Computer oder irgendwelche anderen Geräte, um mit dem Rest der Welt zu kommunizieren;
eine Möglichkeit, die Wäsche auch ohne Waschmaschine und Trockner – oder überhaupt irgendeine Form von arbeitssparender Technik – sauber zu kriegen.
Denken Sie an die Bauern, die ihre Erzeugnisse nicht ohne Kühlung zum nächsten Markt bringen können. Oder an die Ärzte in den Dörfern, die wichtige Medikamente vor der Hitze schützen müssen. Oder an Eltern, deren Kinder keine Hausaufgaben machen können, weil sie abends kein Licht haben.
Und genau aus diesen Gründen werden die 1,6 Milliarden Menschen den aus Kohle erzeugten Strom nutzen, wenn er ihnen angeboten wird, so wie wir in den privilegiertenLändern es bisher auch getan haben, selbst wenn das eine Steigerung des Treibhauseffekts bedeutet. Wenn man die »Verbrauch senken«-Philosophie in größerem Maßstab umsetzen will, muss man sich fragen, ob sie überhaupt weltweit anwendbar ist. Denn wie um Himmels willen soll jemand, der überhaupt keinen Strom hat, seinen Verbrauch senken?
Auf folgende Weise hat mein Haushalt bisher Kohlendioxid erzeugt:
Der Brenner im Keller unseres Mietshauses verbrennt Heizöl, um Wasser zu erhitzen, das dann durch die Heizkörper gepumpt wird oder als
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