Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)
aber nach Mitternacht noch einmal auf, rauchten eine Pfeife, tranken einen Humpen Bier oder gingen sogar auf einen Schwatz zum Nachbarn.
Andere blieben im Bett und beteten oder liebten sich. […] Oft lagen sie auch einfach nur da und sannen über die Bedeutung eines Traumes nach, womit sie dem Bewusstsein ein Fenster in die menschliche Psyche öffneten, das uns modernen Menschen, die wir beim Weckerklingeln aus dem Bett springen, verschlossen bleibt.
Die naheliegendste Erklärung für dieses eigentümliche Schlafmuster liegt vermutlich in der nächtlichen Dunkelheit, die die Menschen in vorindustrieller Zeit umgab – oder, kurz gesagt, im Fehlen künstlicher Beleuchtung.«
Was passiert, wenn man nicht so lebt wie all die anderen? Wenn man etwas anderes ausprobiert? Wenn man aus dieser alles vereinnahmenden Kultur ausschert und sich in eine andere Richtung wendet? Wenn man den Stöpsel herauszieht? Wer sagt, dass wir dieselben Bedürfnisse haben? Warum können wir nicht schlafen gehen, wenn es dunkel wird? Warum hinterfragen wir so wenig?
Den größten Teil meines Lebens war ich brav dem Skriptgefolgt, das man mir vorgesetzt hatte, aber nun stellte ich definitiv eine Menge davon auf den Kopf. Ich begann, mein eigenes Skript zu schreiben. Und wissen Sie was? Es machte richtig Spaß.
Nun ja, wenn ich ehrlich bin, nicht von Anfang an. Als der Zeitpunkt gekommen war, uns vom Netz abzunabeln, um durch unseren Stromverbrauch keine Treibhausgase mehr zu erzeugen, hatte ich ganz schön Panik. Ja, ich war neugierig auf den »zweiten Schlaf«, aber ich hatte keine Ahnung, wie das alles funktionieren sollte.
In der Anfangsphase des Projekts hatte ich das Ganze absichtlich nicht durchgeplant. Ich wollte mich vorwärtstasten und schauen, was passierte. Damals war es einfach, die Trennung vom Stromnetz auf die Liste zu setzen, denn ich war davon ausgegangen, dass wir schon eine Stromquelle finden würden, die kein Kohlendioxid erzeugte. Schließlich musste es doch eine umweltschonende Alternative zum Strom aus der Dose geben, oder?
Nein. Nicht in New York City. Nicht für Leute, die zur Miete wohnten und kein eigenes Dach und keinen Garten haben, wo sie Solarpaneele oder eine Windkraftanlage installieren können.
Ich informierte mich auch über Fahrradgeneratoren, allerdings musste man mehrere Stunden strampeln, um auch nur die Minimalversorgung für einen Tag sicherzustellen. Ich wechselte zu einem Ökostromtarif und stellte dann fest, dass die Einnahmen zwar für Aufbau und Unterhaltung von Windkraftanlagen in anderen Landesteilen verwendet wurden, mein persönlicher Strom aber weiterhin aus den New Yorker Gaswerken kommen würde.
So sinnvoll und unterstützenswert der Ökostromtarif auch war, es bedeutete dennoch, dass in dem Moment, wo ich meine Klimaanlage einschaltete, im New Yorker Kraftwerk Erdgas verbrannt wurde, und das wiederum pulverte CO2 in die Atmosphäre.
Tatsächlich ist es in den meisten amerikanischen Städten – sofern man kein großzügig bemessenes Grundstückhat, auf dem man eine eigene Anlage errichten kann – unmöglich, seinen Strom zu hundert Prozent aus erneuerbaren Energien zu beziehen, ganz gleich, wie viel Geld man bereit ist, dafür auszugeben. Dies war also ein Bereich, wo ich mit individuellem Handeln nicht weiterkam. Wenn ich erneuerbare Energien wollte, brauchte ich eine Stromfirma, die sie mir zur Verfügung stellte, und ein entsprechendes Gesetz der Regierung, denn solange fossile Brennstoffe billiger waren als erneuerbare Energien, investierte keine Stromfirma freiwillig darin. Das war zwar enttäuschend, aber dennoch eine wertvolle Entdeckung, denn es zeigte mir, dass individuelles Handeln seine Grenzen hatte und gesellschaftliches Handeln ebenfalls notwendig war.
Doch solche Dinge herauszufinden, war nicht meine einzige Aufgabe. Ich musste vor allem mit den Konsequenzen leben. Wenn ich mein Projekt also trotz der Abhängigkeit unserer Kultur von fossilen Brennstoffen durchziehen wollte – und das wollte ich –, blieb mir nichts anderes übrig, als auf jeglichen Strom zu verzichten, der aus der Dose kam.
Na toll.
Zum ersten Mal fand ich einen Aspekt meines Experiments ein wenig absurd. Wer um alles in der Welt wäre denn bereit, das Licht abzuschalten, um den Planeten zu retten? Das war kein Weg nach vorn. Lifestyle-Experten auf der ganzen Welt würden Radfahren als Mittel gegen Übergewicht empfehlen oder das Landleben als Mittel gegen die Einsamkeit in der Stadt, aber
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