Alles öko!: Ein Jahr im Selbstversuch (German Edition)
der
Times
zu überfliegen, bevor ich mich auf den Weg zum Radiosender machte. Nach dem Wortlaut der Journalistin war mein Experiment »positiv betrachtet eine Episode aus einer altmodischen Sitcom, negativ betrachtet eine ethisch fragwürdige Variante der Selbstdarstellung«. Ich war, offen gesagt, ziemlich verletzt. Nein, das stimmt nicht – ich war am Boden zerstört.
Dennoch sprang ich auf mein Rad und fuhr zum Studio des WNYC. Brian Lehrer empfing mich unten im Foyer, und gemeinsam stiegen wir die Treppen zum 25. Stock hinauf. Das Interview lief gut. Während ich wieder nach Hause fuhr, dachte ich über den Teil des
Times
-Artikels nach, der mich am meisten enttäuschte: die Überschrift.
Ich hatte das Gefühl, dass meine Bemühungen trivialisiert worden waren, und ich machte mir Sorgen, dass ich – wenn auch unwillentlich – die gesamte Umweltschutzbewegung ins Lächerliche gezogen hatte. Denn die Überschrift lautete: »Das Jahr ohne Klopapier«.
Zu Hause angekommen, beschloss ich, meine Mails abzurufen, um zu sehen, was Freunde und Familie zu der Sache zu sagen hatten. Vorher schaute ich noch schnell nach, ob der Artikel Auswirkungen auf meine Blog-Besucherzahl gehabt hatte. Es war elf Uhr vormittags, und laut Zähler hatten allein an diesem Tag ungefähr 20 000 Leute meinen Blog angeklickt.
Das konnte nicht stimmen. Ich klickte auf »Aktualisieren«: 21 000. Ich klickte noch mal auf »Aktualisieren«: 22500. Ich hatte ein Publikum! Der Traum eines jeden Schriftstellers, oder? Von wegen. Mir brach der kalte Angstschweiß aus.
Ich wechselte zum Mailprogramm. Normalerweise bekam ich zehn oder zwanzig Mails am Tag. Jetzt waren es bereits um die 150. Unter den Betreffzeilen waren Sachen wie»Grüße von der
Today Show
« und »
60 Minutes
würde gerne ein Feature über Sie bringen«. Nächster Check: Anrufbeantworter. Es waren sogar Anfragen von Fernsehsendern aus Japan und Australien dabei.
Offenbar interessierte sich die halbe Welt für mich. Was zum Teufel sollte ich den Leuten bloß erzählen? Dass wir meiner Ansicht nach in der größten Krise steckten, die die Menschheit je erlebt hat? Halten Sie mich ruhig für größenwahnsinnig, aber in dem Moment hatte ich eine Mordsangst davor, den Leuten das Falsche zu erzählen und sie dadurch in die falsche Richtung zu leiten. In mir stieg nackte Panik auf.
Alle bemühten sich zu helfen. Mein Verleger. Mein Agent. Aber wissen Sie, was mich in diesem Medienwirbel, der da plötzlich über mich hereinbrach, bei Verstand hielt? Das Brotbacken.
Ganz gleich, wie viele Zeitungsreporter und Radiosendungen mit mir sprechen wollten, ich musste trotzdem dafür sorgen, dass meine Familie etwas zu essen hatte. Also ging ich in die Küche, krempelte die Ärmel hoch, maß die Zutaten ab und fing an zu kneten. Das war wie Meditation mit Überlebenszwang. Nach dem Motto: Meditiere am Küchentisch, sonst werden deine Familie und du heute Abend hungrig zu Bett gehen.
Irgendwo hatte ich mal gelesen oder gehört, dass ein Rabbi zehn Prozent seiner Zeit darauf verwenden sollte, im Garten zu arbeiten, zu kochen, Geschirr zu spülen und sonstige Alltagsdinge zu erledigen. Diese Tätigkeiten verbinden einen mit anderen Menschen, und sie holen einen auf sehr konkrete, bodenständige Weise aus dem Kopf heraus ins wirkliche Leben.
Das Brotbacken, diese stille, nicht kopfbetonte Tätigkeit, gab mir immer wieder eine dringend notwendige Auszeit. Es gehört zu den Dingen, die das Stakkato des Alltags auf einen wohltuend ruhigen Rhythmus verlangsamen. Wenn man Brotteig knetet, kann man nicht ans Telefon gehen. Mails, Blackberrys und all die anderen Zeitbeschleunigerverlieren für eine Weile ihre Macht, und die Aufmerksamkeit ist ganz bei dem, was die Hände tun.
Während ich mich auf die Phase der CO2-neutralen Haushaltsführung – und damit auf die Trennung vom städtischen Stromnetz – vorbereitete, las ich in einem Artikel, dass Menschen, die ohne künstliches Licht leben, häufig das Phänomen des sogenannten »zweiten Schlafs« erleben. Sie gehen schlafen, wenn es dunkel wird, wachen irgendwann in der Nacht auf, zünden sich eine Kerze an, stehen für eine Stunde auf und legen sich dann wieder hin. Angeblich sind sie danach ausgeruhter als Leute, die später ins Bett gehen und durchschlafen.
Aus dem Artikel von A. Roger Ekirch in der
New York Times
: »Bis zum Beginn des Industriezeitalters […] gingen die Menschen zwischen neun und zehn Uhr abends zu Bett, standen
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