Alles so schoen rund hier - Mein erstes Schwangerschaftsabenteuer
»Nur Schlaf.«
Nur Schlaf, nur ein bisschen Schlaf. Das klingt so was von banal. Ein Nickerchen, eine Verschnaufpause, sich kurz mal aufs Ohr legen. Etwas, das kinderlose Frauen völlig selbstverständlich finden. Etwas, für das ich auf der Stelle meine Seele verkaufen würde.
Ich halte genau bis Freitag, um ein Uhr Mittag, durch. Meine Mutter ruft an.
»Wie geht’s«
Ich werde nicht weinen. Ich werde nicht weinen.
»Gut.« Mehr traue ich mich nicht zu sagen.
»Wirklich« Sie weiß, dass das gelogen ist. Sie hat mich geboren.
»Wirklich. Hör mal, der Arzt ruft gleich an. Ich melde mich später wieder, einverstanden«
Ich lege auf und breche zusammen.
Ich rufe sie an.
»Hallo«
»Mummy.« Es ist Jahre her, dass ich sie so genannt habe. »Mummy, bitte komm sofort her.«
Wie jede Mutter reagiert sie fantastisch. Sie verliert keine Zeit.
»Bin schon unterwegs.«
In elfeinhalb Minuten ist sie da. Wie immer schreit Chris. Ich habe ihn gestillt, seine Windeln gewechselt, aber das reicht ihm nicht. Meine Mutter nimmt ihn aus meinen hilflosen, nutzlosen Armen.
»Geh ins Bett.« Ich kann es kaum glauben. Drei Worte, die mein Leben verändern.
»Wie bitte«
»Geh ins Bett. Ich bin da. Mummy regelt das schon.«
Und so wahr mir Gott helfe, es gelingt ihr tatsächlich. Ich schlafe drei Stunden. Das ist der längste zusammenhängende Schlaf seit der Geburt.
Als ich aufwache, riecht es nach Kaffee und Zigaretten. Meine Mutter trinkt eine Tasse von ihrem eigenen Kaffee. Sie hasst die Marke, die wir kaufen, deshalb bringt sie ihre eigene in einer Tupperdose mit. Mein Vater findet das unhöflich. Ich finde es merkwürdig tröstlich. Ja, ich habe ein Baby bekommen, und ja, mein Leben hat sich grundlegend verändert, aber manche Dinge ändern sich nie. Die Sonne geht im Osten auf und im Westen unter, und meine Mutter hat ihren eigenen Kaffee mitgebracht. Ich setze mich neben sie und lege meinen Kopf in ihren Schoß.
»Tut mir leid, Mummy.«
»Dummerchen. Wofür denn«
Ich setze mich vorsichtig auf. Es dauert noch, bis meine Narbe vollständig verheilt ist.
»Ich wollte alles unter Kontrolle haben. Ich wollte nicht auf dich angewiesen sein.«
In ihren Augen stehen Tränen.
»Sei kein Idiot«, befiehlt sie. »Dafür bin ich doch da.« Ich sehe
mich nach Chris um. Er liegt in seinem Stubenwagen und schläft tief und fest. Neben ihm liegt ein langes Kirschkernkissen, das wir als Wärmekissen verwenden.
Meine Mutter folgt meinem Blick.
»Er hat gefroren«, sagt sie sachlich.
Wieder kommen mir die Tränen. Wie konnte ich das übersehen Wie konnte ich nur so dumm sein Ich lebe seit über zwanzig Jahren auf der Südhalbkugel, der August ist dort einer der kältesten Monate, und ich habe ihn ohne Wärmeflasche schlafen gelegt. Ich bin so was von unnütz.
»Ich bin zu nichts gut«, jammere ich.
»Quatsch!«, sagt meine Mutter barsch.
»Das lernt man alles noch. Irgendwann weißt du, was er will. Du musst ihn erst kennenlernen, und wenn es so weit ist, spürst du instinktiv, was er braucht.«
Ich betrachte dieses winzige, hilflose Wesen, das in seinem Stubenwagen neben meiner Mutter schläft. Ich bewundere seine Atmung, das Heben und Senken seines Brustkorbs. Ich werde panisch bei dem Gedanken, wie zerbrechlich er ist. Der kleinste Fehler, ja eine falsche Bewegung genügt, und ich tue ihm weh oder Schlimmeres. Ich fürchte mich davor, ihn hochzunehmen, ihn anzufassen. Ich stelle mich auf der anderen Seite neben meine Mutter und komme mir vor wie ein kleines Kind. Ich will ihre Hand nehmen wie damals, als ich noch klein war und wir gemeinsam über die Straße gingen. Solange sie meine Hand hielt, konnte mir nichts passieren, davon war ich fest überzeugt. Nichts konnte dem unsichtbaren Schutzschild etwas anhaben, der sie umgab. Ich wünschte, ich könnte jetzt ihre Hand nehmen, und dass sie immer noch die Kraft hat, mich unbesiegbar
zu machen. Aber ich bin jetzt einunddreißig. Und selbst Mutter. Ich kann es immer noch nicht fassen: Ich lag in den Wehen, ich, das Kind einer anderen, und kam mit einem eigenen Kind wieder nach Hause. Gestern war ich noch Sam, heute bin ich Christophers Mutter.
Und das ganz ohne Prüfungen, Vorlesungen, Tutorien. Nur ein Haufen Ratgeber, die widersprüchliche Tipps geben. Wieder kommen mir die Tränen.
»Ich mache alles genau so, wie es die Bücher empfehlen. In diesem Buch steht: ›Stillen Sie ihr Kind, wechseln Sie seine Windeln, legen Sie es schlafen. Dann schläft es ein.‹
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