Alles über Elfen (German Edition)
ruft der König einen Trinkspruch aus. Unser Elf greift allzu hastig nach einem anderen Becher und stößt dabei ein Kohlebecken um. Die glühenden Kohlen stecken die ganze Festlaube in Brand. Unter den Verletzten ist der Abgesandte eines anderen Elfenhofes, der hinter dem Feuer einen Anschlag auf sein Leben vermutet, was er als Beweis für die finsteren, betrügerischen Absichten des hiesigen Königs wertet. Die anstehenden Verhandlungen über ein Friedensabkommen sind gescheitert, und wenige Tage später bricht ein blutiger Krieg zwischen den beiden Höfen aus. Alles nur wegen eines Schlucks Wein …
Die absolut sicherste Alternative in vielen Situationen wäre also völlige Tatenlosigkeit – doch entgegen aller anderslautenden Behauptungen wird sie so gut wie nie gewählt. Trotzdem kann es eine Weile dauern – gerade bei Entscheidungen, die nicht innerhalb kürzester Zeit getroffen werden müssen –, bis sich Elfen zu einem Urteil über ihr weiteres Handeln durchgerungen haben.
Erkenne deine Bestimmung und erfülle sie
Ein so langes Leben wie das eines Elfen muss sinnvoll gefüllt werden. Der Propaganda der Elfenhasser zufolge verbringen die Elfen einen Großteil ihres Daseins mit süßem Müßiggang – singen, spielen, lachen, tanzen, musizieren. Dieses Missverständnis entsteht meines Erachtens dadurch, dass die Elfen sehr viel toleranter sind, was sie alles als sinnvolle Berufungen erachten. In den Gesellschaften, die sie geschaffen haben, herrscht in der Regel kaum spürbare materielle Not. Folglich stehen ihren Mitgliedern auch Wege offen, die für Angehörige anderer Völker nicht so leicht zu beschreiten sind. Entschließt sich ein Elf beispielsweise dazu, der beste Lautenschläger seines Volkes werden zu wollen, löst das bei seinem Umfeld wahrscheinlich kaum mehr als ein Achselzucken aus. Auch eine Ansage wie »Ich möchte ganz durchdringen, wie ein Falke Beute macht und seine Brut großzieht« dürfte kaum für Verwunderung sorgen. [Plischke: Ich befürchte, jetzt romantisiert der Herr Kollege aber ein wenig. Ich nehme an, das alles mag für den Elfenadel seine Richtigkeit haben. Bei einem Elfenstamm in einer harscheren Region gehe ich davon aus, dass der Entscheidungsspielraum da etwas enger ist. Obwohl man auch unter diesen Elfen wahrscheinlich nicht dazu gezwungen wird, ein großer Jäger zu werden, wenn man lieber töpfert oder Pelze schneidert.] In letzter Konsequenz steht es jedem frei, die Unendlichkeit mit dem zuzubringen, was er für das Beste hält.
Der negative Aspekt dieser Überzeugung besteht darin, dass viele Elfen irgendwann tendenziell einen gewissen Fatalismus entwickeln, gemäß dem Motto »Wenn es aber nun einmal meine Bestimmung ist, zu den Letzten meiner Art zu gehören und traurige Lieder über mein Schicksal zu schreiben, dann lässt sich daran nichts ändern«. Gleichermaßen gefährlich kann diese Haltung zudem schon in jungen Jahren sein. (»Bislang ist zwar noch niemand aus dem Hain der Zehntausend Schreie zurückgekehrt, aber ich weiß , dass ich dazu ausersehen bin.«)
Verzweifle nicht an dem, was sich nicht ändern lässt
Viele Außenstehende sagen den Elfen eine gewisse Larmoyanz nach, was im Einzelfall sicher nicht ganz grundlos ist (siehe oben). In der Regel verstehen die meisten Elfen jedoch, ein recht vernünftiges Maß an Schicksalsergebenheit zu entwickeln. Vergessen Sie nicht: Die Elfen glauben an eine Ordnung hinter der Welt und auch daran, dass es weder ihnen noch sonst irgendjemandem zusteht, an diesen Grundfesten zu rütteln. Das bedeutet für sie nicht, dass nicht auch guten Elfen Schlechtes widerfahren kann – so ist der Lauf der Dinge. Alles wird und vergeht. Mehr noch: Alles wird, um wieder zu vergehen. Die Elfen erwarten dabei von ihresgleichen allerdings nicht, als absolute Stoiker durchs Leben zu gehen, die jede Tragödie und jeden Schicksalsschlag höchstens mit einem pikierten Naserümpfen und einem »War ja klar, dass so was passieren muss« quittieren. Leid und Trauer sind durchaus zulässige Gemütsregungen – sie sollten nur nicht zum Dauerzustand werden, aufgrund dessen man an der Welt zu verzweifeln beginnt. Um einmal aus einem Asterix-Band zu zitieren: »Auf Regen folgt Sonnenschein.« Manche Elfologen sind der Meinung, dass sich diese grundsätzlich optimistische Weltanschauung selbst für Elfen nicht unbegrenzte Zeit aufrechterhalten lässt und dass sie deshalb ab einem bestimmten Punkt buchstäblich lebensmüde werden und vergehen.
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