Alles über Elfen (German Edition)
mit einer klaren Hauptfigur, die am Ende für ihre Mühen mit einem netten Happy End belohnt wird, oder ein netter Zeitungsartikel über den Verlauf eines Fußballspiels mit einer praktischen Auflistung des Endergebnisses, der Mannschaftsaufstellung und der Torschützen. Denken Sie stattdessen lieber an ein experimentelles Stück Lyrik, eines, das sich mal reimt, mal nicht; eines, das sich nur an einigen Stellen an so etwas wie eine feste Metrik hält; eines, in das Unmengen an Fremdwörtern, Passagen aus unterschiedlichen Sprachen, mehrdeutige Formulierungen und absichtlich eingebaute Rechtschreibfehler eingestreut sind.
Die Elfen sind gewissermaßen davon überzeugt, dass es eine richtige Interpretation dieses Gedichts gibt. Eine einzige . [Christiansen: Sie suchen eigentlich also nach einer Antwort auf die aus schlechtem Deutschunterricht leider hinlänglich bekannte Frage »Was will der Autor uns damit sagen?] Dieser Text ist für sie keine Auslegungssache. Er ist eine Art Rätsel, das man mit genügend Konzentration, Wissen, Intuition und Einfühlungsvermögen lösen kann. Allerdings bestehen keinerlei Garantien dafür, dass einem die Lösung, auf die man schließlich stößt, persönlich auch gefällt. Anders gesagt: Nur weil man auf einer rationalen Ebene zu der Einsicht gelangt ist, dass die Welt einem ewigen Kreislauf aus Werden und Vergehen folgt, vollführt man noch lange keine Luftsprünge, wenn man feststellt, dass das eigene Vergehen unmittelbar bevorsteht und letzten Endes völlig unausweichlich ist. [Plischke: Das ist auch eine schöne Erklärung für die Aura der Schwermut, die viele Elfen ab einem gewissen Punkt in ihrer individuellen Entwicklung zu umfloren scheint. Ich nehme an, es ist nicht sehr beruhigend, das eigene Schicksal zu kennen – vor allem dann, wenn es etwas anderes ist, als glücklich und zufrieden in unvorstellbar hohem Alter aus der Welt zu scheiden]
Diese besondere Weltsicht der Elfen dürfte auch der Grund dafür sein, warum auffällig viele Elfologen davon berichten, dass Angehörige des Schönen Volkes dazu neigen, viel Zeit in stiller Versenkung und Meditation zu verbringen. [Plischke: Als Faustregel gilt: Je älter der Elf, desto länger die Stunden, in denen er den eigenen Gedanken nachhängt – ob nun mit geschlossenen oder geöffneten Augen. Christiansen: Die Spitzohren schlafen doch auch mit offenen Augen. Wie merkt man denn da den Unterschied zwischen Meditieren und Faulenzen? Plischke: Ignorant!] Gelegentlich nehmen sie dazu auch besondere Posen ein (wie etwa den Lotos- oder den Schneidersitz) oder ziehen sich an ruhige Orte wie einsame Lichtungen oder eigens für diese Zwecke eingerichtete Räume in ihren Behausungen zurück.
Im Zuge dieser Versenkungen versucht ein Elf in der Regel zweierlei: Er strebt danach, den tieferen Sinn hinter seinen jüngsten Erfahrungen und Sinneseindrücken zu entschlüsseln (»Warum haben die Spottdrosseln heute Morgen anders gesungen als sonst?«, »Warum habe ich auf die Worte meines Freundes mit Zorn reagiert?«, »Weshalb hat mich die Nachricht von einem Krieg unter den Menschen gerade dann erreicht, als sie mich erreicht hat?«). Ausgehend von diesen Deutungen wägt der Elf dann offenbar seine Handlungsoptionen für die nähere Zukunft ab.
Viele Elfologen sehen darin einen rein analytischen Vorgang, ein geradezu nüchternes Erstellen von Pro und Kontra und das geradlinige Abarbeiten von Punkten auf einer Liste. Ich kann mit dieser Ansicht nicht ganz konform gehen, denn sie scheint mir zu stark auf das Rationale ausgerichtet und blendet das Emotionale vollkommen aus. Hätten meine Kollegen recht, wären die Elfen durch und durch leidenschaftslose Geschöpfe oder eine Ar laufender und sprechender Algorithmus, der einfach Input von außen verarbeitet und bei gleicher Datenlage auch das gleiche Resultat liefert. Dem ist jedoch nicht so. Diese These lässt sich mit einigen Beispielen nämlich sehr leicht widerlegen:
Wie oben erwähnt glauben Elfen an die Liebe auf den ersten Blick, und diese romantische Überzeugung läuft einem rein logischen Abwägen von Pro und Kontra zuwider. Ansonsten würden die Elfen kaum so viele Geschichten kennen, in denen aus dieser plötzlichen Liebe eine tragische wird, weil sich zwei von ihnen bewusst füreinander entscheiden, obwohl die äußeren Umstände (verfeindete Eltern, jahrtausendealte Fehden zwischen ihren Sippen und andere Erfreulichkeiten) klar gegen ihre gemeinsame Zukunft
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