Alles über Elfen (German Edition)
zum Beispiel nur noch einen Wettergeist. Diese konzeptuelle Verdichtung kann dabei so weit reichen, dass sich am Ende nur noch zwei Prinzipien gegenüberstehen – wie etwa ein Geist des Lichts und ein Geist der Finsternis oder ein Geist aller stofflich fassbaren Dinge und einer, der für alles verantwortlich ist, was keinen Körper im eigentlichen Sinn besitzt (Liebe, Hass, Freiheit etc.). Oft ist dann auch nicht mehr von Geistern die Rede, sondern von Mächten oder Kräften. Die Geister verlieren gewissermaßen ihre Persönlichkeit [Plischke: Das lässt sich auf menschliche Maßstäbe übertragen am besten damit vergleichen, dass manche von uns, die in einem monotheistisch geprägten Umfeld aufgewachsen sind, eine sehr abstrakte Auffassung von Gott als schöpferischer Kraft vertreten, während andere bei Gott an einen älteren Herren mit langem weißem Bart denken, der inmitten einer Wolkenlandschaft auf einem goldenen Thron sitzt] Die entgegengesetzten Kräfte liegen zwar miteinander im Widerstreit, doch ohne ihr jeweiliges Gegenstück könnten weder sie noch die Welt existieren – um als Licht erkennbar zu sein, braucht das Licht die Finsternis (und umgekehrt). Darüber hinaus trägt laut solcher Vorstellungen das Gute bereits den Keim des Bösen und das Böse den Keim des Guten in sich.
Genug der schweren theoretischen Kost. Fragen wir uns lieber: Was heißt all das für die Praxis?
Was nahezu alle Elfen auszeichnet, ist der Glaube, dass der Welt eine feste Ordnung zugrunde liegt. Dies schließt die Überzeugung ein, dass einige Regeln nicht gebrochen werden können. Daraus wird dann zum einen eine besondere Form der Schicksalshaftigkeit abgeleitet – manche Dinge sind von Anbeginn der Zeit an dazu vorherbestimmt, sich in eine gewisse Richtung zu entwickeln. Bei Tolkien findet sich diese Idee in der Auffassung, der Schöpfergott Mittelerdes habe im Zuge des dritten Liedes seiner großen Musik die Elfen an ein bestimmtes Schicksal gebunden [Plischke: Wohingegen die Menschen frei darin sind, sich durch ihre eigenen Entscheidungen auch ihr eigenes Schicksal zu schaffen (um es mal ganz grob zu formulieren)] Musik als Metapher scheint mir hier von besonderer Bedeutung zu sein und die elfische Weltsicht sehr passend widerzuspiegeln: Musik ist ein geordnetes System mit festen Regeln, in dem auf einen Ton nur ganz bestimmte andere Töne folgen können, ohne Missklänge zu erzeugen. Und da der Schöpfer dieser Musik ein Freund der Ordnung ist, wären ihm Missklänge natürlich ein Gräuel [Christiansen: Dann ist bei Tolkiens Elfen der Schöpfergott so was wie ein genervtes Elternteil, das seinen Sprösslingen aufträgt, auf gar keinen Fall diese schreckliche Krachmusik zu hören? Plischke: Die Geschmäcker sind eben verschieden, auch und gerade beim Erschaffen von Welten …]
Was die Elfen als Zweites aus den oben erläuterten Annahmen ableiten, ist die feste Überzeugung, dass kommende Ereignisse anhand von Omen und Vorzeichen vorhergesehen werden können. Ein in jeder Hinsicht simples Beispiel: Dräuende Gewitterwolken am Horizont bedeuten unter Umständen nicht nur unmittelbar bevorstehende heftige Regengüsse. Sie kündigen eventuell auch andere Unruhen an, die nicht meteorologischer Natur sind: Kriege, Streitigkeiten innerhalb von Clans, Zerwürfnisse zwischen Liebenden und so weiter. Wie gesagt, das war ein sehr simples Beispiel.
Denn eines sollte man nicht unterschätzen: Die Elfen gehen davon aus, dass alle Elemente der Welt – um nicht zu sagen der Schöpfung – auf fundamentaler Ebene miteinander verknüpft sind. Vielleicht nähert man sich dieser Denkweise am ehesten an, wenn man das wohl am häufigsten bemühte Bild zur Veranschaulichung der Chaostheorie verwendet: das des Schmetterlings, der mit einem sachten Flügelschlag hierzulande in letzter Konsequenz einen verheerenden Sturm in China auslöst. Das Faszinierende dabei ist, dass die Elfen einen solchen Vorfall eben gerade nicht als einen Ausdruck einer völlig chaotischen, sondern einer in sich geordneten Welt interpretieren würden. Wir Menschen machen häufig den Fehler, Ordnung mit Einfachheit zu verwechseln; die Elfen begehen diesen Fehler nicht. Im Gegenteil: Die Komplexität der Ordnung ist nur ein weiteres Indiz ihrer Perfektion.
Ich möchte es noch mit einem anderen Bild versuchen, Ihnen die elfische Sicht auf die Welt und auf das Schicksal zu veranschaulichen: Stellen Sie sich vor, die Welt wäre ein Text. Kein leicht verdaulicher Roman
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